Gastkommentar für Die Presse, 12.12.2023
Die Lehren, die man aus dem Kollaps der Signa-Gruppe für Banken-, Immo- und Finanzgeschäfte ziehen sollte.
Der Kollaps des Immobilien- und Handelskonzerns von Rene Benko zieht die größte Insolvenz der österreichischen Wirtschaftsgeschichte nach sich. Blindes Investorenvertrauen in die hemdsärmelige Tüchtigkeit eines Jungunternehmers und die großzügige Handhabung von Transparenzregeln durch renommierte Bei- und Aufsichtsräte ergaben am Ende ein toxisches Gemisch von Überbewertung und Überschuldung. Dennoch sollte sich die mediale Aufarbeitung dieser immobilen Tragödie nicht einseitig auf vermutete Fehlleistungen involvierter Persönlichkeiten konzentrieren. Viel wichtiger ist eine tiefergehende Ursachenanalyse mit dem Ziel, künftige, vergleichbare Ausuferungen durch bilanz- und aufsichtsrechtliche Reformen zu verhindern.
Entscheidend dafür ist ein kritischer Blick auf die geltende Bilanzierungspraxis. Sie erlaubt es, für alle Bestandsimmobilien jeweils aktuell eingeschätzte Marktwerte einzusetzen. Diese Markteinschätzungen verleiten in Phasen extrem niedriger Zinsen zu weit überhöhten Bewertungen, die zu nicht durch Verkäufe realisierten „Gewinnen“ und deren Ausschüttung führen. Die Signa-Gruppe reizte das Drehen an der Bewertungsschraube dadurch noch weiter aus, dass den konzerneigenen Handelsunternehmen am oberen Rand der jeweiligen Marktgegebenheiten bemessene Mieten verrechnet wurden, was die Bewertung der konzerneigenen Immobiliengesellschaften erst recht nach oben verzerrte. Diese Praxis kann, wie Beispiel zeigt, in Zeiten sich abrupt ändernder Rahmenbedingungen sehr rasch in eine Bewertungssackgasse führen, aus der es kein Zurück mehr gibt – weder für die Bankenpartner noch für Investoren.
Es ist eine eigenwillige Pointe der Wirtschaftsgeschichte, dass es auf österreichischem Boden schon einmal einen Auslöser dafür gab, die marktorientierte Bewertung mit allen damit verbundenen Gefahren massiver Wertschwankungen gegen die bis heute für alle nicht börsennotierten Unternehmen geltenden Bilanzierungsregeln des Unternehmensgesetzbuches (UGB) zu tauschen. Anlass dafür war der Börsenkrach des Jahres 1873, dem Jahr der großen Weltausstellung.
Nach dem Platzen der Spekulationsblase zogen damals die Gesetzgeber nicht nur der Donaumonarchie sondern auch Deutschlands die Konsequenz, auf am Gläubigerschutz und am Vorsichtsprinzip orientierte Regeln umzustellen. Nur durch tatsächliche Verkäufe realisierte Erträge konnten ab dann als ausschüttungsfähiger Gewinn verbucht werden. Erst mit Schaffung des Euro und dem damit einhergehenden Bedürfnis, sich an anglo-amerikanischen Börsenspielregeln zu orientieren, wurde das Niederstwertprinzip bei allen börsennotierten Unternehmen wieder zugunsten marktorientierter Bewertung aufgegeben.
Es ist heute wieder hoch an der Zeit, Regeländerungen in Richtung von am Vorsichtsprinzip orientierten Bilanzen nicht nur für den Immobilienbereich sondern auch für Banken und Finanzgesellschaften anzugehen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass ohnehin unvermeidbare Marktschwankungen durch zu prozyklischen Ausschlägen führende Bilanzierungspraktiken regelmäßig verstärkt werden und im schlimmsten Fall zu Finanzkrisen führen, die wieder nur durch Sondermaßnahmen der Notenbanken und Mittelzufuhr aus den öffentlichen Budgets notdürftig geheilt werden können.
Solange unternehmerisches Scheitern das Risiko der daran unmittelbar Beteiligten bleibt, entspricht dies marktwirtschaftlichen Spielregeln. Ein systematisches, durch fehlgelenkte Bilanzierungsregeln begünstigtes „too big to fail“ jedoch sollten wir uns nicht länger leisten.