die furche - 95

Heillos zerstrittene Retter

 

„Schulenstreit“ wäre ein viel zu nobler Ausdruck für das, was sich in jüngster Zeit in der Zunft der Wirtschaftswissenschaften abspielt. In ihrer Ratlosigkeit über den richtigen Weg aus der Eurokrise verlassen kontroversiell argumentierende Ökonomen immer öfter die Sachebene und beginnen sich – man kann es nicht anders nennen – zu beflegeln.

 

Den offenen Brief jener 172 Ökonomen, die in den jüngsten EU-Beschlüssen zur Bankenunion einen Weg zur Hölle sehen, bezeichnete Peter Bofinger als Wortführer einer öffentlichen Gegenstellungnahme als „schlimmste Stammtischökonomie“. Worauf ihn sein Kollege Walter Krämer, der an der Uni Dortmund wirkende Initiator des auch von Top-Ökonom Hans-Werner Sinn unterstützten Mahnschreibens, als „ökonomische Nullnummer“ bezeichnete.

 

Aber auch dort, wo man höflich bleibt, fallen die Bilder, mit denen die Konsequenzen vermeintlicher Denkfehler der jeweils anderen Seite beschrieben werden, immer drastischer aus: „Europa steuert schlafwandelnd auf die Katastrophe zu“ texten etwa die renommierten Verfasser des jüngsten Aufrufes einer Expertengruppe, die sich dem von Finanzjongleur George Soros initiierten „Institut für neues ökonomisches Denken“ verbunden fühlen.

 

Ein tiefer Zwiespalt – mehr noch: eine multiple Spaltung in Grundsatzfragen– verläuft quer durch die Wirtschaftsfakultäten und ist die Folge einer fundamentalen Zerstrittenheit nicht nur über die notwendige Therapie sondern vor allem auch über die Diagnose der Krisenursachen. Während die einen die Schuld ausschließlich bei einzelnen Staaten suchen, sehen andere den Auslöser in einer systemischen Finanzkrise und Konstruktionsfehlern des Euro, die nur gemeinsam bekämpft werden können. Dass Spaniens Schuldenstand noch 2007 bei nur der Hälfte des deutschen Wertes lag, ist nur einer der Belege für diesen Denkansatz.

 

Je verhärteter die Fronten in diesem Expertenkrieg, desto enger werden die Scheuklappen und desto geringer die Bereitschaft, Zwischentöne wahrzunehmen oder nach Kompromissen zu suchen. Gerda Falkner, Politikwissenschaftlerin an der Uni Wien und Leiterin des Instituts für europäische Integrationsforschung, forderte daher jüngst zurecht von ihren Kollegen aus den Wirtschaftswissenschaften einen professionellen, lösungsorientierten Diskurs über die scheinbar unvereinbaren Positionen.

 

Viel Zeit ist dafür nicht mehr. Denn jeder Zwischenschritt erweiterter Schirme und Stabilisierungsfonds wird von den Finanzmarktteilnehmern genützt, um sich aus den schwächeren Euro-Ländern zurückzuziehen und damit die künftigen Rettungslasten weiter zu vergrößern. Beruhigung könnte nur die verbindliche Zusage schaffen, jenen Ländern mit Zinsstützungen beizuspringen, die sich an ihre Sanierungspläne halten. Bleibt dieser legitime Solidaritätsakt aus, passiert das, was einer der Ökonomen mit der Metapher vom Euro-Floss umschreibt, das auf einen lebensgefährlichen Wasserfall zusteuert: je näher die Gefahrenstelle kommt, desto schneller wird die Strömung und umso geringer die Wahrscheinlichkeit der Rettung.

2. August 2012

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