die furche - 88

Über anständige Spielregeln

 

Damit ein richtiges Leben im Falschen gelingen kann, ist Wirtschaftsethik so gefragt wie nie zuvor. Die Darreichungsformen reichen von teuren Seminaren über kostenlose Vortragsveranstaltungen bis zu immer umfänglicherer Literatur. Längst lassen sich damit Bibliotheken füllen.

 

Nachdem jahrelang so viel schiefgegangen ist, vor allem in der Finanzwelt, steigt der Bedarf nach möglichst umfassender Generalbereinigung der unzähligen Grauzonen des Wirtschaftens: zwischen vorteilhaften Geschäften und Übervorteilung, zwischen professionellem Ausschöpfen legaler Möglichkeiten und Überschreitung rechtlicher Grenzen, zwischen anständigem Profit und unanständiger Abzockerei, zwischen Gewinnstreben und Profitgier, zwischen verdienter Leistungsprämie und unverdient hohen Bonuszahlungen.

 

Immer unerfüllbarer werden unsere Erwartungen in die Moral als „Deus ex Machina“ in Zeiten der Krise. Dass wir mehr davon gut brauchen könnten – wer wollte es schon leugnen. Und doch werde ich zusehends misstrauischer, je einhelliger der Ruf danach wird.

 

Stutzig macht mich vor allem, dass der Ruf nach Wirtschaftsethik einem Erklärungsmuster entspricht, das die Finanzkrise ursächlich auf eine massive Häufung moralischer Defekte zurückführt. Zu viele gierige Menschen hätten verantwortungslos gehandelt, so der Denkansatz, und wenn sie nur endlich ihrer gerechten Strafe zugeführt wären, würde schon die Abschreckungswirkung dafür sorgen, dass sich Derartiges für längere Zeit nicht mehr wiederholen kann. Dass man sich mit diesem Zugang ein Kurieren der wirklichen Krisenursachen erspart, erklärt seine Beliebtheit bei Vertretern der Finanzmarktelite.

 

Auch die Aufsehen erregende Buch-Beichte von Greg Smith, einem Finanzmanager, der kundenfeindliche und zynische Geschäftspraktiken bei Goldman Sachs anprangert, wo er zwölf Jahre lang in führender Funktion gearbeitet hatte, verstärkt nur das gängige Muster. Die Investmentbank wird ihre internen Vorschriften anpassen, die Mitarbeiter werden sich künftig hüten, ihre Kunden in internen Mails als „Muppets“ zu bezeichnen – aber am krisenerzeugenden Geschäftsmodell wird sich nichts ändern. Komplizierte „Compliance-Regeln“ sorgen für internes Wohlverhalten, das Systemverhalten der Bank hingegen bleibt unangetastet.

 

Wichtiger als die Verstrengerung von Anstandsregeln ist deshalb eine Veränderung jener grundlegenden Spielregeln, mit denen das Finanzsystem diszipliniert und wieder zu mehr Bodenhaftung gezwungen werden kann. Nur wenn das gelingt, werden uns in Zukunft die Folgekosten der viel zu hohen systemischen Risiken des ungebremsten „Kasinokapitalismus“ (Hans Werner Sinn) erspart bleiben.

 

Die eigentliche wirtschaftsethische Nagelprobe liegt deshalb in der Bereitschaft, die Rahmenbedingungen einer erneuerten Marktwirtschaft mitzugestalten, in der Wertschöpfung wieder wichtiger ist als spekulative Geldschöpfung. Ich weiß nicht, ob es auch schon teure Seminare über anständige Spielregeln gibt. Sie wären jedenfalls ihr Geld wert.

 

26. April 2012

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