Immer vor den hohen Festtagen – und das sind immer noch die Festtage der großen christlichen Erzählung von der Welt – blüht das mediale Interesse am Schöpfungsgeschehen. Zu diesen Wendepunkten des Jahres scheint ganz besonders zu interessieren, was vor dem Urknall war und ob es im stetig expandierenden Weltall auch anderes menschliches Leben gibt.
Die intensive Suche nach planetarer Verwandtschaft blieb bisher allerdings erfolglos. Denn selbst Kepler 22b, jener kürzlich erst entdeckte, erdähnliche, uns am nächsten gelegene und von seinen Temperaturverhältnissen her möglicherweise Voraussetzungen für Leben bietende, und von daher bewohnbare („habitable“) Planet, liegt ganze 600 Lichtjahre von uns entfernt.
Wir werden dennoch nicht aufgeben und weitersuchen – vielleicht auch, weil wir Angst vor der mit unserer Einzigartigkeit einhergehenden Verantwortung haben. Denn wenn wirklich nur uns die Erde anvertraut ist, müssten wir uns noch viel mehr als wir das bisher tun, um ihre Bewohnbarkeit kümmern.
Es ist jedenfalls kein Zufall und nicht nur dem Goethe´schen „Faust“ zu verdanken, dass sich uns die Gretchenfrage („Wie hältst Du´s mit der Religion?) gerade um diese Jahreszeit stellt, in der uns die Schöpfung vormacht, wie es gehen könnte. Unsere Antwort fällt oft ausweichend aus. Denn eigentlich scheuen wir davor zurück, den engeren Kern der Osterbotschaft heute noch wirklich wörtlich zu nehmen.
Martin Walser, einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller, mit dem sich das deutsche Feuilleton nicht auskennt, weil auch ihn die Gottesfrage immer wieder beschäftigt, hat seine feiertägliche Empfindungslage als säkularisierter Katholik in einem berühmt gewordenen Vierzeiler unnachahmlich festgehalten: „Ich bin an den Sonntag gebunden / Wie an eine Melodie / Ich habe keine andere gefunden / Ich glaube nicht, aber ich knie“.
Vielleicht war die Melodie, an die er dabei gedacht hat, das Sanctus aus der vertrauten Deutschen Messe von Franz Schubert mit der so einfachen wie genialen Textzeile von Johann Philipp Neumann. „Er der nie begonnen, er der immer war“: so lautete die Antwort seines Dichterkollegen am Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Frage nach dem Anfang von Allem. Wir verdanken sie einem Menschen der Aufklärung, war doch der 1849 in Wien im Alter von 75 Jahren verstorbene Neumann im Hauptberuf Physiker, Professor an der TU Wien und eine Zeit lang Rektor der Grazer Universität.
Er mag sich wie so viele bis heute gewünscht haben, dass überkonfessionell gültige Einsichten in das Schöpfungsgeschehen mit den Glaubensgrundsätzen der im eigenen Kulturkreis vorgefundenen Volksreligion vereinbar bleiben. Oder einfacher: dass Wissen und Wahrheit, Vernunft und Glaube versöhnt neben- und miteinander existieren dürfen.
Dass eine Kirche diesen Spagat zwischen Offenheit und Dogmatik aushält und zugleich zu ihrem „Markenkern“ steht, könnte erklären, warum so Viele dabei bleiben, ohne im engeren Sinn dazuzugehören.
12. April 2012