Vor kurzem feierte Georg Stefan Troller seinen 90. Geburtstag. Seit 60 Jahren lebt er schon in Paris. Nach dem „Anschluss“ musste er als Sechzehnjähriger vor dem tödlichen Rassenhass zunächst in die Tschechoslowakei fliehen, dann nach Frankreich, wo er bei Kriegsausbruch interniert wurde. 1941 erhielt er in Marseille ein Visum in die USA. Dort wurde er in die Armee eingezogen und erlebte 1945 als Soldat die Befreiung Münchens. Nach dem Krieg startete er beim Sender Rot-Weiss-Rot, studierte dann in Amerika Publizistik und Theaterwissenschaften, ging an die Sorbonne und wurde zu einem der meist beschäftigten Publizisten, Drehbuchautoren und Sendungsmacher des deutschsprachigen Fernsehens. In seinem geliebten Wien konnte er nie mehr heimisch werden.
Das Drehbuch zur Verfilmung seiner Geschichte der Flucht vor den Nazis schrieb er mit Regisseur Axel Corti gemeinsam. Dem neuen Kultur- und Informationssender ORF III verdanken wir die Ausstrahlung aller drei Folgen von „Wohin und zurück“. Auch Pariser Kinos haben dieses Meisterwerk seit der Jahreswende wieder im Programm. Es wurde dort innerhalb weniger Tage zum cineastischen Überraschungserfolg.
Als ich die beiden ersten Folgen wieder sah, fiel mir natürlich die Debatte um „neue Juden“ auf Ballfesten in der Hofburg ein, aber auch die unfassbare Geschichtsvergessenheit eines mittlerweile suspendierten Professors, der nicht wissen will, was er nicht selbst erlebt hat und deshalb die Wirklichkeit des Holocaust in Frage stellt. Wie ein erlösender „Schalldämpfer“ wirkt die Verfilmung der Lebensgeschichte Georg Stefan Trollers durch den 1993 verstorbenen Axel Corti gegen derart himmelschreiende Zumutungen. Mit leisen Tönen, authentisch und einfühlsam.
Auf ähnliche Weise wurde „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ in kurzer Zeit zu einem der in Österreich meistverkauften Bücher. Geschrieben hat es Edmund de Waal, Urenkel jenes Baron Ephrussi, der das Ringstraßenpalais am Schottentor errichtet hatte. Eine Hausgehilfin rettete 1938 eine Sammlung japanischer Kleinskulpturen („Netsukes“) vor den rassenreinen Räubern. Über abenteuerliche Umwege gelangte so auch der titelgebende Hase in den Besitz des in London lebenden Keramik-Künstlers, der daraus eine wunderbare Geschichte entwickelt.
Das Buch sei ein Akt der Restitution an das Wien seiner Vorfahren, meinte Herr De Waal anlässlich der Vorstellung seines Buches in den Räumlichkeiten des ehemaligen Familienpalais. Sein Werk ist ihm so ausgezeichnet gelungen, dass es die meisten, denen ich es kurz nach Erscheinen schenkte, zuvor selbst schon gelesen hatten.
Ob De Waal, Corti oder auch Ruzowitzky („Die Fälscher“): Die großen Erfolge künstlerischer Auseinandersetzung mit dieser belasteten Zeit können uns zuversichtlich stimmen, dass der bestürzende Satz aus „Wohin und zurück“, ausgesprochen von einem der aus Wien vertriebenen jüdischen Mitbürger, heute wohl nur mehr auf eine kleine, verbohrte Minderheit Ewiggestriger zutrifft: „Sie werden uns nie verzeihen, was sie uns angetan haben“.
16. Februar 2012