Haben wir darauf nicht sehnlich gewartet?: Ab sofort lässt sich mit Hilfe einer „App“ der Europäischen Zentralbank (EZB) am Handy spielerisch und gratis ausprobieren, wie man eine Notenbank führt. Das Ziel des virtuellen Notenbankers lautet wie im richtigen Leben: Die Inflationsrate unter zwei Prozent zu halten. Das Repertoire an Steuerungsmöglichkeiten ist allerdings enttäuschend schmal. Denn es gibt auch in noch so verzwickten volkswirtschaftlichen Situationen nur eine einzige Stellgröße: den Leitzinssatz, zu dem sich Banken Geld leihen können.
Die Wirklichkeit ist kaum weniger eindimensional. Der zentrale Gründungsauftrag an die politisch unabhängige EZB lautet nun einmal: Geldwertstabilität. Was sie in den letzten Monaten sonst noch getan hat – etwa der unorthodoxe Ankauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten im Umfang von knapp 200 Milliarden Euro – kommt im Spiel nicht vor, weil es als Sündenfall gilt.
Nun geht aber die amerikanische Notenbank FED genau diesen Weg und ist damit erfolgreich. Längst ist sie größter Gläubiger der USA, ohne dass die Kapitalmärkte von Inflationsängsten geplagt werden. Warum also sollte Europa nicht die gleiche Strategie fahren?
Das Hauptargument dagegen lautet: Gelddrucken erzeugt Hyperinflation. Diese Angst ist jedoch unbegründet. Derzeit schrumpft die Geldmenge wegen der Konjunkturängste sogar. Sie wird auch durch Anleihekäufe der EZB nicht höher, denn es handelt sich nur um Ersatzkäufe jener Volumina, die andernfalls von den Finanzmärkten aufgenommen worden wären.
Viel gefährlicher, aber bis heute weniger beachtet, sind jene von den Experten als „asset-inflation“ bezeichneten Formen der Geldentwertung, die bei unkontrollierter Vermehrung bestimmter Anlagegüter entstehen. Etwa jene Unmengen synthetischer Wertpapiere (Stichwort „Sub-Prime“), die heute noch bleischwer die Bücher vieler Großbanken belasten. Oder Immobilien, die in überhöhten Mengen zu überhöhten Preisen errichtet wurden (etwa in Spanien). Weiters durch hohe Fremdmittel-Hebel und unkontrollierte Geldschöpfung aufgeblähte Bilanzen internationaler Großbanken. Und schließlich ein unermesslicher Berg an Staatsanleihen, den Banken ohne jede Unterlegung durch Eigenmittel angekauft haben, weil ihnen von Politikern, Notenbankern und Rating-Agenturen signalisiert wurde, Euro-Staaten könnten nie scheitern.
Diese inflationären Bestände an derzeit nicht einlösbaren, geldwerten Ansprüchen lassen sich nicht kurzfristig abbauen. Wer das versucht, riskiert den Zusammenbruch des Systems. Es bleibt kein anderer Ausweg, als die für den gezielten Abbau notwendige Zeit von wohl gut zehn Jahren zu kaufen. Deshalb muss die EZB als Käufer jener Euro-Anleihen auftreten, die bei anderen Kapitalmarktpartnern derzeit zu vernünftigen Kosten nicht unterzubringen sind. Nur so sind die Kapitalmärkte vom Zusammenhalt des Euro zu überzeugen.
Ohne dieses zusätzliche Instrument wird das Euro-App nicht funktionieren – im wirklichen Leben wie im Spiel.
1.Dezember 2011