Mehr als 80 Prozent unserer deutschen Nachbarn erwarten in einer Umfrage der „Welt“, dass der Höhepunkt der Euro- und Staatsschuldenkrise noch bevorsteht. Fast ebenso viele stimmen der Aussage zu, über die Zukunft des Euro entschieden letztlich die Finanzmärkte, nicht aber die Politik. Die „Schwarmintelligenz“ der Befragten deckt sich erstaunlich treffgenau mit der unerbittlichen Eigendynamik der weltweiten Finanzwirtschaft.
Denn seit dem 21.Juli – dem Tag der Einigung über eine Gläubiger-Beteiligung an der Griechenland-Umschuldung – ziehen sich internationale Anleger aus der Finanzierung von für weniger sicher gehaltenen Euro-Ländern zurück. Zugleich steigert sich das Misstrauen in Banken, die in diesen Ländern engagiert sind, zu einer neuerlichen Vertrauenskrise in die Stabilität des Bankensystems.
Einige der auf Schuldenabbau setzenden Staaten kippen in negative Wachstumsraten. Ihre Budgetprobleme nehmen zu, der Sanierungskurs wird bis zur demokratiepolitisch erträglichen Schmerzgrenze verstärkt, die Kreditwürdigkeit weiter herabgestuft, worauf sich Gläubiger noch weiter zurückziehen. Schließlich steigen die Zinsen für Neuemissionen von Staatsanleihen auf Niveaus, die den Staatshaushalt endgültig manövrierunfähig machen.
Die umstrittenen Anleihenkäufe seitens der Europäischen Zentralbank und des neu geschaffenen Stabilisierungsfonds haben diese Dynamik etwas gedämpft. Namhafte Ökonomen halten diesen Krisenmechanismus für ausbaufähig, andere sehen darin jedoch eine irreversible Vorstufe zu Eurobonds. Denn die unerwünschte Nebenwirkung solcher solidarisch behafteter Gemeinschaftsanleihen besteht in der Versuchung stark verschuldeter Staaten, in ihren Sanierungsbemühungen rasch wieder nachzulassen, sobald sie in den Genuss des verbilligten Geldes kommen.
Zunächst aber muss das Maßnahmenpaket vom Juli seine Nagelprobe in den Parlamenten der Euro-Mitgliedsstaaten bestehen, wobei der Ausgang der deutschen Parlamentsdebatte wohl richtungweisend für viele andere sein wird. Aus der Außensicht internationaler Handelspartner und Gläubigerstaaten wirft eine mögliche Selbstaufgabe des bisher ehrgeizigsten und lange wohl auch erfolgreichsten EU-Projektes die alles entscheidende Frage auf: Schafft sich Europa ab oder wagt es mitten in der Krise den Quantensprung in eine größere Verbindlichkeit.
Das an den Herbst 2008 und die Folgen der Lehman-Pleite erinnernde, globale Wetterleuchten verdeutlicht, dass für diese Grundsatzentscheidung nicht mehr viel Zeit bleibt. Entweder gelingt es, die Erosion von Euro-Land durch verbindliche Schritte in Richtung gemeinsamer Haushaltspolitik zu stoppen oder wir entwickeln, falls das nicht gelingt, taugliche Instrumente, um die Realwirtschaft vor den ärgsten Folgen der dann unvermeidbaren Implosion des Eurosystems zu schützen. Beides erfordert eine handlungsfähige Politik, die sich neben der Haushaltskonsolidierung auch an die Disziplinierung des internationalen Groß-Bankensystems wagt.