In der Einleitung zu einer Studie über die Entwicklung der Finanzmärkte fand ich kürzlich dieses schöne Zitat: „I can´t think about that right now. If I do, I´ll go crazy. I´ll think about that tomorrow“. Die vorherrschende Stimmung hätte durch nichts besser beschrieben werden können als durch diesen beziehungsvollen Satz der Scarlett O´Hara aus dem legendären Hollywood-Streifen „Vom Winde verweht“.
Unsicherheit herrscht nicht nur in Bezug auf das Kommende, sondern auch in der grundsätzlichen Orientierung. Noch selten waren die Meinungen hinsichtlich der Wege, die als nächste zu beschreiten sind, so diametral unterschiedlich. Erratische Ausschläge an den Börsen liefern das Muster für die Stimmungsschwankungen am politischen Parkett. Unter den besten Experten gibt es kaum noch irgendeinen tragfähigen Basis-Konsens über das Notwendige und Machbare.
Mitunter bringt eiliges Nachschlagen in der Wirtschaftsgeschichte (ent)spannende Erkenntnisse über frühere spekulative Blasen, darunter so prominente wie die legendäre Tulpenkrise in den Niederlanden. Bücher über vergangene Finanzmarktkrisen schaffen es sogar in die Bestsellerlisten. Aber nur selten führt deren Lektüre zu einer wirklichen Reflexion der aktuellen Ereignisse und ihrer Vorbedingungen. Die im historischen Schnellsiedekurs bestätigte These, dass es immer Krisen gab, kann sogar auf paradoxe Weise vom tieferen Blick auf die Ursachen der aktuellen Schwierigkeiten ablenken.
Krisen-Historie wird so zum Pausenfüller für Konferenzen und Geschäftsessen, zur Quelle anekdotischer Rückblicke auf die Katastrophen von gestern, nicht aber neuer Aufschlüsse und Sichtweisen der Ist-Situation. Die wirtschaftsgeschichtliche Publizistik dient als Dekor des geistigen Bühnenbildes zu einem Stück, das von den gleichen Schauspielern immer noch mit den gleichen Textbausteinen gespielt wird. Es trägt den seit vielen Jahren unveränderten Titel „Der Markt hat immer recht“.
So klar es scheint, dass die bisherigen Erklärungsmuster nicht mehr taugen, so schillernd ist das Spektrum der angebotenen Handlungsalternativen. Da tun die Einen so, als hätten wir noch die Option, Euro-Land in Süd- und Nordgebiete aufzuteilen. Da rufen die anderen martialisch nach dem Staatsbankrott überschuldeter Länder, ohne einen Gedanken an dessen verheerende Folgen zu verschwenden. Da fordern wieder andere eine von niemandem legitimierte europäische Wirtschaftsregierung – und überall stehen wachsende Ansammlungen von Bürgern und rufen „Verrat“.
Es wird Zeit, wieder einen ordnungspolitischen Neubeginn zu wagen. Selbststeuerung über Finanzmärkte kann Politik nicht ersetzen. Wir müssen Rahmenbedingungen entwickeln, die uns besser vor künftigen Finanzmarkt-Schocks schützen und die europäischen Institutionen so weiter entwickeln, dass die Zerreißprobe des Euro am Ende zur Festigung seiner globalen Position führt. Wenn der Wind der Geschichte nicht unser ganzes Wirtschaftssystem verwehen soll, müssen wir jetzt damit anfangen.