die furche - 68

Entthront die Rating-Agenturen

 

Richtige Ideen brauchen oft lange, um sich durchzusetzen. Bekommen sie dann endlich die gebührende Aufmerksamkeit, kann das zum falschen Zeitpunkt sein, wie zuletzt beim Ruf nach einer europäischen Rating-Agentur. Denn so berechtigt dieses Anliegen ist: am Faktum, dass das Ausfallrisiko von Staatsanleihen Griechenlands und anderer Euro-Staaten seit der Finanzkrise höher ist als je zuvor, würde auch sie nichts ändern. Und noch weniger an der Aporie der europäischen Entscheidungsträger.

 

Der Blick amerikanischer Rating-Agenturen auf die Folgen der Euro-Finanzpolitik mag mitunter einseitig sein. Aber wie sieht die europäische Perspektive aus? Wenn es um die zentrale Frage geht, ob das Schuldenproblem eines Euro-Landes innerhalb der Euro-Zone gelöst werden soll, oder ob jeder einzelne Staat selbst sehen muss, von den Finanzmärkte wieder Kredit zu bekommen, laufen die Konzepte der maßgeblichen Politiker und Ökonomen diametral aus- und gegeneinander.

 

Da der Weg von der Währungsunion zur Fiskalunion verschlossen ist, wird jedes weitere Rating-Urteil zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Als immer schlechtere Schuldner eingestufte Euro-Staaten erhalten neben Geldern aus dem Euro-Rettungsschirm von den Kapitalmärkten nur mehr Anleihen zu prohibitiv hohen Zinssätzen, mit denen die Abwärtsspirale weiter beschleunigt wird. Wer investiert noch in Staatsanleihen, deren negative Beurteilung zur sofortigen Abwertung zwingt? Am Ende dieser Entwicklung bliebe vom europäischen Traum nach schwersten Turbulenzen nur mehr ein auf die nationalen Kapitalmärkte zurückgeworfenes Patchwork ehemaliger Euro-Staaten.

 

Jüngste Vorschläge, die Rating-Agenturen künftig für Fehleinschätzungen haften zu lassen, gehen jedoch ins Leere. Viel wichtiger wäre es, deren Bonitätsnoten in Zukunft nicht mehr so unmittelbar auf die Bankbilanzen durchschlagen zu lassen, wie das seit Übernahme der amerikanischen Bilanzierungsregeln vor etwa einem Jahrzehnt geschieht.

 

Trotz eklatanter Fehler der Agenturen bleiben deren Urteile in dem fälschlich als Ausweg aus der Krise gepriesenen Banken-Regelwerk „Basel III“ auch in Hinkunft das Maß aller Dinge. Obwohl sie sich bei den US-Wohnkredit-Anleihen spektakulär verschätzt hatten und damit zum Mit-Auslöser der Krise wurden, bestimmt ihr Blick in die Glaskugel nach wie vor die Bemessung der Eigenmittel-Erfordernisse von Banken. Eben darin liegt der Keim der nächsten Finanzkrise.

 

Den Rating-Agenturen wird von den Bankaufsehern und Finanzpolitikern eine schicksalhafte Rolle als Welt-Finanz-Schiedsrichter zugeschrieben. Heute wissen wir, dass sie mit dieser Rolle überfordert sind. Der richtige Schluss muss lauten, den Mythos ihrer Unfehlbarkeit zu beenden und ihren zwingenden Einfluss auf die zentralen Regelwerke des Finanzsystems zu kappen. Dann könnten sie sich ganz unspektakulär wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, Gläubigern eine Einschätzung über die Ausfallrisiken eines Schuldners zu geben. Die Entthronung der Rating-Agenturen ist überfällig.

 

 

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