Seit ich regelmäßig Zeitungen lese, also etwa seit der Oberstufe des Gymnasiums, bin ich ein zutiefst politischer Mensch. Zu wissen, was und wie es politisch weitergeht, ist mir wichtig, ob im lokalen, im regionalen, im nationalen, im europäischen oder im globalen Kontext. Aber ich muss zu geben: noch nie war mein Interesse für Innenpolitik so gering wie heute. Wohl aus Selbstschutz. Um nicht ununterbrochen wahrnehmen zu müssen, wie weit wir unter unseren Möglichkeiten bleiben: in der Bildungspolitik, im Umgang mit dem Einwanderungsthema, in der ORF-Politik, bei den Bundesbahnen, in Steuerfragen, bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität. Wenn ich das Wort „Verwaltungsreform“ höre, ich gestehe es, dann blättere ich weiter, um mir sinnlosen Ärger zu ersparen.
Ich wollte nie zu jenen habituellen Matschkerern gehören, die den Politikern nichts durchgehen lassen und penetrant von vergangenen, besseren Zeiten schwärmen. Erlebe ich allerdings wieder einmal das Einknicken erpressbarer MinisterInnen vor der Vetomacht unserer G9 (mein Kolumnen-Kürzel für die Mitglieder der Landeshauptleutekonferenz), muss ich mich doch um Fassung bemühen und höllisch aufpassen, nicht in den Club der Alters-Besserwisser zu geraten.
Glücklicherweise hat mich ein OPEN MINDS Abend mit André´Heller an der Wirtschaftsuniversität Wien aus dieser nicht gerade staatsfeiertäglichen Stimmung gerissen. Das von ihm selbst kreierte Motto des Gesprächs: „Vom Hundertsten ins Tausendste“.
Zunächst ging es vor etwa 500 überwiegend studentischen Gästen um das Denken und Schaffen des Chansonniers, Dichters, Impresarios und Multimediakünstlers, um das Spannungsfeld von Kunst, Management und unternehmerischem Erfolg. Von dort fanden wir bald zu Themen, die mit der Zukunft des Lernens, der Universitäten, mit Phantasie und Innovation zu tun haben.
Natürlich kam auch die aktuelle Hochschulsituation zur Sprache: die gegenseitigen Aktionsblockaden der politischen Parteien, die Beengtheit einer Diskussion, in der der wirkliche Inhalt von Bildung kaum mehr eine Rolle spielt, sondern alles von Macht- und Zuständigkeitsfragen dominiert wird.
Dann aber wurde das, was Heller sagte, immer nachdenklicher, wegführend von resignativen Missstands-Bilanzen zu möglichen Aufbrüchen, zu selbständigem Denken und Handeln, zu der Ermutigung, sich lernend zu verwandeln. Mit einem mal bestand Einigkeit darüber, dass die Politik um soviel konstruktiver wäre, stünde sie nicht unter dem absurden Diktat des Nur-Ja-keinen-Fehler-zugeben-Dürfens. Und wir dachten darüber nach, wie es gelingen könnte, aus Politikern mutige Wesen zu machen, die Entscheidungen treffen.
Gegen Ende des Abends, nachdem André Heller die klugen Fragen seiner jungen Zuhörer sehr persönlich und aufbauend beantwortet hatte, gingen wir in dem Gefühl auseinander, dass es in weit größerem Umfang, als uns das bewusst war, auch an uns selbst liegt, wie es mit unserem Staat weitergeht. Es machte plötzlich wieder Lust, ein politischer Mensch zu sein.