Dass die Finanzkrise noch nicht ausgestanden ist, merken wir an unsicheren, oft wechselnden Antworten von Experten auf die Frage, was wohl als nächstes geschieht. Erwarten die einen eine Jahrhundertinflation, fürchten andere Preisverfall und Deflation. Glauben die einen an den Aufschwung, warnen andere vorm „double-dip“, dem neuerlichen Fall in ein Konjunkturloch. Die Spannbreite unterschiedlicher Erwartungen könnte kaum größer sein.
Bezeichnend für die Sprunghaftigkeit der Sichtweisen ist ein Blick auf Deutschland. Noch im späten Frühjahr glaubte US-Finanzminister Geithner Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble für deren Sparpolitik abmahnen zu müssen. Sie brächten mit ihrem restriktiven Budgetkurs die gerade erst aufblühende Weltkonjunktur in Gefahr. Nobelpreisträger Paul Krugman damals martialisch: „Wir müssen den Deutschen eine Botschaft schicken: Wir werden es nicht zulassen, dass sie die Folgen ihrer obsessiven Sparpolitik exportieren“.
Etwa zur gleichen Zeit kulminierten die Ängste um einen von überschuldeten Staatshaushalten gebeutelten Euro. Erst ein 700 Milliarden teurer Garantieschirm verhinderte, dass die Stimmung in Hysterie kippte. Die Flucht ins Gold nahm beinahe panikartige Züge an. Vor der Münze Österreich am Wiener Heumarkt musste Polizei eingreifen, um Ordnung in die ungeduldige Menschenmenge zu bringen.
Heute ist – wie lange? - alles anders. Das deutsche Wachstum von nun schon deutlich über 3 Prozent wird bestaunt, die Kraft der Exportwirtschaft – im Frühjahr hatten die Franzosen sie noch als geradezu antieuropäisch verdammt – treibt nun eine von allen bewunderte Konjunktur-Lokomotive. Im Gegensatz dazu erlahmt das Wachstum in den USA, weil die Wirkung der Sonderprogramme nachlässt und die zusätzlichen Effekte weiterer Geldspritzen immer teurer erkauft werden müssen.
Schon häufen sich Ängste um die Fortsetzbarkeit des amerikanischen Weges. Auch das Copyright auf die wichtigste Weltwährung muss ihn nicht auf ewig garantieren. Wenn ausländische Gläubiger aufhören, dem Dollar unbegrenztes Vertrauen zu schenken, würden stark steigende Risiko- und Zinskosten auf US-Anleihen die Geldwirtschaft in die Enge treiben und den Schuldenabbau blockieren. Vor diesem Hintergrund dürfte auch bei US-Finanzpolitikern bald die Einsicht reifen, dass wohl alles öffentliche Geld nicht ausreicht, um die Folgen dieser Finanzkrise wegzuzahlen.
Am deutschen Beispiel zeigt sich, dass die Erholung letztlich aus der Realwirtschaft kommen muss. Das aber setzt eine ausreichende industrielle Wertschöpfungsbasis voraus. Eine „Wissensgesellschaft“, der durch Verlagerung von Industriearbeitsplätzen viel Produktions-Know-How verlorengegangen ist, tut sich dabei schwerer als Länder wie Deutschland und Österreich, in denen der Anteil der industriellen Wertschöpfung (noch) über 20 Prozent beträgt. Er liegt damit doppelt so hoch wie in den USA oder England, wo das Wachstum der letzten Jahre von der „Irrealwirtschaft“ der Finanzmärkte dominiert wurde.