Lösungen, die einem der Menschenverstand nahelegt, haben oft einen quälend langen Weg vor sich, bis sie es in die politische Umsetzung schaffen. So auch in der Zuwanderungsfrage.
Ich habe einen jungen Mediziner vor Augen, der, aus dem Noch-Nicht-EU-Ausland stammend, hier in Mindestzeit Medizin studierte, um schließlich zu erfahren, dass es für ihn keine Ausbildungsstelle gibt, solange er nicht Staatsbürger ist oder eine sogenannte Schlüsselqualifikation nachweist. Nun verlässt er Österreich, wo er zwar kostenlos ausgebildet wurde, ihm jedoch Arbeitsmöglichkeiten verwehrt bleiben – und nimmt einen Spitalsjob in der angeblich fremdenfeindlichen Schweiz an.
Die nun endlich in Gang gekommene Debatte über die Aufnahme qualifizierter Zuwanderer kommt für diesen konkreten Fall ebenso zu spät wie der einleuchtende Vorschlag der Wissenschaftsministerin, jenen ausländischen Studenten, die erfolgreich absolviert haben, auch die Chance zur Berufsausübung zu geben.
Was mich aber in der aktuellen Auseinandersetzung mindestens ebenso stark irritiert, ist die unsäglich abgehobene Art, in der über die gewünschten Qualifikationen diskutiert wird. Es lässt sich daran ablesen, wie sehr es uns an bildungspolitischer Orientierung fehlt, wie lange wir es schon verabsäumt haben, uns an einem Menschenbild auszurichten, das nicht nur an materiell attraktiven Erwerbskarrieren gemessen wird.
Bildung wird meist einseitig mit dem Absolvieren von Studien gleichgesetzt – egal welchen, Hauptsache akademischen. Wer das nicht schafft, gilt eben nicht als qualifiziert genug, um Schlüsselarbeitskraft zu sein. Fällt denn niemandem auf, dass diese Definition eine eklatante Abwertung aller Frauen und Männer ist, die sich ohne akademische Approbation in den unterschiedlichsten Berufsfeldern tagtäglich bewehren, ohne das bisher als defizitär erleben zu müssen? Dürfen wir wirklich jede Lebensrealität ausblenden, um nur ja den statistischen Quervergleichen mit anderen Ländern gerecht zu werden?
Die absurde Jagd nach einer im internationalen Vergleich herzeigbaren Akademikerquote – obwohl die unterschiedlichen Systeme ohnehin kaum vergleichbar sind – führt zu einer vordergründigen Idealisierung überfüllter Universitäten, die in den Hauptstudien längst nicht mehr in der Lage sind, angemessene Qualität zu bieten. So entstehen hoch subventionierte Zwischenlager-Räume für Tausende, die ihr Studium dann doch nicht beenden und ein Leben lang „Abbrecher“-Karrieren machen.
Eine Neubewertung der beruflichen Felder ist überfällig, ein Abstimmung der primären und sekundären Ausbildungen auf die dort – nicht nur fachlich, sondern auch menschlich und sozial – gefragten Qualifikationen, vor allem aber der liebevoll-realistische Blick auf die Unterschiedlichkeit unserer Begabungen, Orientierungen, Leidenschaften. Pädagogik dürfte dann wieder weniger Output-orientiert sein und stolz darauf sein, selbstbewusste, eigenverantwortliche Absolventen der unterschiedlichsten Ausbildungsstufen reif fürs Leben gemacht zu haben.