Eine runde Milliarde Dollar soll die letzte Tagung der G20 in Toronto verschlungen haben. Die Kosten allein für die Gewährleistung von Sicherheit sind bei solchen Anlässen in schwer fassbare Dimensionen gestiegen. Der Aufwand stand nach Meinung fast aller Beobachter in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Ergebnis. Die Interessen der großen Wirtschaftsblöcke waren nicht auf einen Nenner zu bringen, die Regulierung der Finanzmärkte wird trotz Globalisierung nun doch eine nationale Angelegenheit bleiben. Der Begleitfilm zu dieser Inszenierung könnte den Titel „Die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins“ tragen.
Die Kluft zwischen den Ansprüchen an die Lösungskapazität großer politischer Einheiten gegenüber ihrer realen Umsetzungskraft wird immer größer. Solange die Wähler nationale Parlamente wählen, werden ihre Politiker sich nach nationalen Interessen zu richten haben. Ein gesamteuropäischer Konsens ist vor diesem Hintergrund schon kompliziert genug – der Versuch, auch noch transatlantische Interessensunterschiede auszugleichen oder gar die größten „Emerging Markets“ einzubeziehen, kann da nicht mehr als eine – allerdings auch nicht zu unterschätzende – friedenspolitische Übung sein.
Vor diesem Hintergrund wäre es umso wichtiger, die verbleibenden internationalen Gestaltungsspielräume auch wirklich auszufüllen – auch und gerade als kleinerer Staat. In Wirklichkeit zeigt sich auch hier die gegenteilige Tendenz ab: wenn es kritisch wird, starren alle auf Frau Merkel und Herrn Sarkozy. Worauf die Beiden sich einigen, das wird zur Direktive der nächsten Verhandlungsrunden. Die Stimme kleinerer, kerneuropäischer Länder wie Belgien oder den Niederlanden ist aufgrund deren instabiler Binnensituation verstummt, Österreich spricht auch gegenüber Europa aus uneinheitlichem, parteilichem Mund statt zu gemeinsamen Haltungen in den wichtigsten Fragen zu finden.
Auf der nächsttiefer gelegenen Ebene der Gebietskörperschaften erleben wir dieses Phänomen in vergleichbarer Weise beim Verhältnis Bund zu Bundesländern. Auch hier wird die limitierte Gestaltungsmacht einer Bundesregierung, die Lösungskompetenz für alle große Fragen vorzugeben hat, gegenüber der realen Blockademacht jeglicher ernsthafter Reformanstrengungen durch die Damen und Herren Landeshauptleute immer mehr zum Problem. Gemeinsame Profilierung der Bundesregierung bei den gerade anstehenden europäischen Großthemen wie Finanzmarktkrise, Umwelt- und Energiepolitik wäre da sogar eine Chance auf ein Mehr an gestalterischem Freiraum.
Dazu müsste unsere Haltung gegenüber Europa im besten Sinn emanzipierter werden: selbstbewusster, von mehr Eigeninitiative geprägt, Allianzen suchend, verbunden mit einer konsequent auf Qualität und Überparteilichkeit abgestellten Besetzungspolitik der europäischen Exekutiv-Gremien. Auch wenn es beim ersten Hinhören paradox klingt: Gerade über professionelle Europapolitik könnte die oft unerträgliche Seichtigkeit des Scheins durchbrochen und wieder realpolitische Bodenhaftung gewonnen werden.