Meinem Gesprächspartner war es sichtlich peinlich, mir das erklären zu müssen und ich entschloss mich, ihm diese Peinlichkeit nicht zu ersparen. Ja, meinte er auf meine Nachfrage, ich hätte richtig gehört, Österreich gehöre aus der Sicht seines Konzerns zu den „Emerging Markets‘‘ – also jener Kategorie von Weltgegend, die man vor Erfindung der Political Correctness „Entwicklungsländer“ nannte. Der US-amerikanische Computerkonzern, für den er arbeitet, unterhält in London die Vertriebszentrale für Europa, Afrika und den Mittleren Osten. Dieses gesamte Gebiet habe man einfach zweigeteilt: Hier die großen Staaten England, Deutschland und Frankreich, die man gemeinsam mit den skandinavischen Ländern zum entwickelten Teil erklärt. Und da alle anderen, zu denen – er schluckte kurz, bevor er es aussprach – auch Österreich gehört. Deshalb reiche sein anstrengender Reiseplan von Austria bis Zimbabwe.
Diese naiv-imperiale, geschichtslose Weltsicht ist nicht nur manchen amerikanischen Unternehmen eigen. Sie bestimmt auch das Verhalten von Rating-Agenturen, wenn sie ihr Okular auf das ferne Europa richten. Wie hatten sie doch im vergangenen Jahr Osteuropa krank geredet, bevor ein gut instrumentiertes Zusammenwirken der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds einen konstruktiven Weg aus der Krise beschreiten half.
Auf die Griechenland-Krise reagierten sie ähnlich. Nach langem Ringen hatte die europäische Politik einen währungspolitischen Wall errichtet, hinter dem die Euro-Staaten über die nächsten Jahre wieder zu gesunden Staatshaushalten kommen können, ohne an spekulativ überteuerten Refinanzierungskosten zu scheitern. Die Rating-Agenturen jedoch setzten just nach dem Einigungs-Wochenende kaltblütig noch eins drauf und riefen mit einer Herabstufung Portugals zum Halali auf das nächste Euro-Land.
In derselben Woche setzten sie die Bonität des über die Halskrause verschuldeten Kalifornien um drei (!) Stufen hinauf. Man hatte eilends neue Einstufungs-Kriterien für US-Staaten geschaffen. Wenn das nicht genügt, um die schon lange geforderte europäische Rating-Agentur endlich in die Welt zu setzen, ist uns nicht zu helfen.
Mit unserer selbstschädigenden Bereitschaft, den Euro krankzureden, bestärken wir Europäer jene Exponenten der angloamerikanischen Finanzwelt, die seit Jahren beharrlich dagegen ankämpfen, dass im Euro eine zweite Weltwährung entsteht, die dem Dollar auf den großen Finanzplätzen und als Verrechnungswährung für Rohstoffe Konkurrenz machen könnte. Dabei könnten wir eine moderate Abschwächung des Außenkurses gegenüber dem Dollar ohne Schaden zulassen, wenn wir zugleich den inneren Zusammenhalt der Euro-Länder kräftigen. Für unsere Unternehmen wäre das förderlicher als jedes noch so teure Konjunkturprogramm.
Im gerade stattfindenden Kampf der Finanzkulturen zwischen dem angloamerikanischen Raum und Europa sollten wir uns mehr Selbstbewusstsein leisten und eigenständige Wege beschreiten, um von den spekulativen Auswüchsen eines einseitig kapitalmarktorientieren Systems wieder unabhängiger zu werden.