Während einer einwöchigen privaten Reise in die USA fiel mir auf, wie sehr auch dort die mediale Oberfläche ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit erzeugt. Das alles dominierende Thema im TV und den Printmedien schien die Frage zu sein, ob und wie sich der Golf-Profi Tiger Woods für seine außerehelichen Eskapaden bei der Öffentlichkeit entschuldigen würde.
Entgegen diesem täuschenden Eindruck waren die wirklich beherrschenden Themen aller Gespräche mit kalifornischen Freunden und Bekannten die Folgen der Finanzmarktkrise und die Versuche Obamas, seine Gesundheitsreform durchzubringen.
Erstaunlicherweise ist es den Republikanern durch Radikal-Opposition schon im ersten Jahr von Obamas Präsidentschaft gelungen, ihn als einen Vielredner zu diskreditieren, der kaum etwas durchsetzen kann. Seit die rechtspopulistische „Bostoner Tea Party“ nach der Zurückeroberung der jahrzehntelangen Demokraten-Bastion Massachusetts den Druck erhöht, werden auch demokratische Mitstreiter des Präsidenten mutloser. Entsprechend halbherzig fiel bei der groß inszenierten öffentlichen Sondersitzung zur Gesundheitsreform ihre rhetorische Unterstützung für den Präsidenten aus.
Im Herbst haben sie Zwischen-Wahlen zu schlagen und stoßen dabei auf eine Stimmung, in der die vielen ungelösten, sich auftürmenden Probleme nicht mehr der Ära Bush zugerechnet, sondern ganz einfach Washington und dem Big Government angelastet werden – und dafür steht nun einmal der amtierende Präsident. Ihn trifft die steigende Frustration über das Treiben der herrschenden politischen und (finanz-)wirtschaftlichen Eliten. Er wird von den einfachen Bürgern, also von Main-Street, für jene Fehler von Wall-Street geprügelt, für die er nun wirklich am wenigsten kann.
Diese Stimmung nützt paradoxerweise jenen Lobbyisten, die alle regulatorischen Versuche, die Bankwirtschaft wieder in den Griff zu bekommen, mit plumper Anti-Regierungs-Rhetorik abzuwehren versuchen. Sie kämpfen gegen alles, was geeignet ist, das Bankensystem von seinen spekulativen Geschäftsfeldern wegzuführen, um es wieder berechenbar und konstruktiv zu machen. Und die freiheitsliebenden Amerikaner nehmen ihnen das mehrheitlich ab – trotz eines massiv erhöhten Leidensdrucks im Alltag, von zunehmender Langzeit-Arbeitslosigkeit bis zu teureren Ausbildungskosten für ihre Kinder.
Nun hat der von konservativen Republikanern dominierte US-Verfassungsgerichtshof auch noch die Entscheidung getroffen, dass Unternehmen als Parteispendern das gleiche Recht wie jedem Bürger zusteht. Damit wird erst recht den finanzkräftigen Lobbies das vordere Scheunentor ins Parlament weit geöffnet. Joseph Stiglitz, der Nobelpreisträger und ehemalige Weltbank-Ökonom stellt dazu in seinem neuesten Buch ernüchtert fest, die großen Investmentbanken seien mittlerweile nicht mehr nur „too big too fail“ sondern bereits „too politically powerful to be constrained“.
Nicht nur in den USA wird die Frage nach der Regierbarkeit und Qualität unserer Demokratien zum Schlüssel der Krisenbewältigung.