Zu den besonders kostbaren, persönlichen Erinnerungen dieses Sommers gehört ein mittägliches Tischgespräch in Salzburg. Dort war während der Festspiele ein großer Österreicher zu Gast, der in wenigen Tagen seinen 90.Geburtstag feiern wird: Lord George Weidenfeld, legendärer Verleger, Publizist und Diplomat, Gesprächspartner zahlreicher Politiker und Medienleute aus aller Welt, die heute noch seine Meinung hören und seinen Rat suchen.
Seine frappierend genauen und gleichzeitig großzügigen Skizzen zu den Fragen der Weltpolitik – er schlägt einen „Wiener Kongress“ zur Lösung des Nah-Ost-Konfliktes vor – spickte der vor Wissen und jugendlicher Neugier sprühende Kosmopolit mit pointierten Erzählungen über erlebte Begebenheiten aus seiner das zwanzigste Jahrhundert umschließenden Lebensspanne.
So war er etwa dabei, als eine britische Delegation gemeinsam mit Graham Greene in den Nachkriegsjahren seine Geburtsstadt Wien besuchte. Es ging um die Suche nach dem geeigneten Stoff für ein Drehbuch, das die Verhältnisse der von den „Vier im Jeep“ kontrollierten Stadt filmisch wiedergeben sollte. Während die kleine Begleit-Gruppe im Sacher speiste, streifte der damals schon weltbekannte Großautor am selben Tag durch die Katakomben der Wiener Kanalisation – und hatte seinen Stoff für den „Dritten Mann“ gefunden.
Nach seiner Emigration nach England, nach überstandenem Krieg und nach all den verheerenden antisemitischen Brandschatzungen des Nazi-Regimes unterstützte George Weidenfeld auf vielfältige Weise die Erneuerung des österreichischen Geisteslebens. So half er Fritz Molden, mit dem ihn bis heute eine enge Freundschaft verbindet, beim Aufbau seines in den Sechziger- und Siebzigerjahren zu europäischem Rang gekommenen Verlages.
Regen Austausch pflegte Weidenfeld auch mit dem großen Friedrich Heer, jenem, wie er ihn nennt, so „quintessentiell österreichischen“ Intellektuellen, der für die FURCHE der Sechzigerjahre publizistisch prägend war. Weidenfeld sorgte dafür, dass Heers Werke in Großbritannien erscheinen konnten und zu diesem Zweck ins Englische übersetzt wurden.
Wer Texte von Friedrich Heer gelesen hat, weiß, dass der Autor der „schöpferischen Vernunft“ eine unglaublich reiche, weit ausschweifende, komplexe Sprache pflegte. Die Übersetzung in das konzisere Englische habe sich da als durchaus nützlich erwiesen, erzählte Weidenfeld. Und verriet unserer Tischrunde, dass Friedrich Heer damals wohl nicht zufällig den liebevollen Spitznamen „Abraham a Santa Un-Clara“ getragen habe.
P.S.: In die Heiterkeit beim Niederschreiben dieser Heer-Anekdote mischt sich bei mir Trauer darüber, dass jene jüdisch-bildungsbürgerliche Geisteswelt, der Lord Weidenfeld zugehört, zu so großen Teilen unwiderruflich zerstört wurde. Aber auch Zorn darüber, dass ein Mitglied der Vorarlberger Landesregierung heute wieder antisemitisch ausfällig sein zu dürfen glaubt. Diesen Anfängen müssen wir wehren – mit konsequenter „Zero Tolerance“ im medialen wie im politischen Raum.
August 2009