die furche - 20

Eine neue Wirklichkeit

 

Vor wenigen Jahren erst wurde der Bundesfinanzierungsagentur gestattet, über ihre Kernaufgabe des Staatsschulden-Managements hinaus mit zusätzlich aufgenommenen Geldern bankähnliche Veranlagungsgeschäfte zu betreiben, um damit dem Fiskus zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Die Finanzmarktkrise hat einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Nicht weniger als 360 Mio Euro sollen unwiderruflich verloren sein.

 

Auch wenn vor der Krise Gewinne in wesentlich höherem Umfang erzielt wurden, ist mittlerweile unstrittig, dass öffentliche Haushalte – das gleiche gilt ja für Länder und Gemeinden – künftig keine Veranlagungsgeschäfte mit geschuldetem Geld eingehen sollten.

 

Der hitzige innenpolitische Umgang mit dieser Sachfrage deutet allerdings auf eine kräftige Themenverfehlung hin. Es macht nämlich wenig Sinn, mit der Weisheit des Rückblicks das Vorgehen der Schuldenmanager zu kritisieren, die nach damals geltenden Regeln gehandelt haben. Mit dem Wissen von heute Ex-post Recht zu bekommen ist nicht das, worauf es ankommt.

 

Entscheidender ist, aus der neuen Wirklichkeit Konsequenzen zu ziehen. Lautet doch die schmerzhafte Wahrheit, dass die meisten der bis zum Ausbruch der Krise im Rang von Glaubenssätzen stehenden Spielregeln der Finanzwirtschaft ursächlich für deren Entstehung waren und deshalb neu geschrieben werden müssen.

 

Das Eingeständnis, dass eine ganze Gesellschaft mehrheitlich einem ideologischen Herdentrieb auf dem falschen Weg gefolgt ist, fällt uns nicht leicht. Im Händel-Oratorium „Messiah“, das im Frühjahr in der großartigen Inszenierung von Claus Guth im Theater an der Wien zu bewundern war, gibt es eine dazu eine verstörend passende Textstelle, die ich mir noch während der Aufführung notieren musste: „Wie Schafe gingen wir alle in die Irre – jeder sah auf seinen eigenen Weg.“

 

Adair Turner, Chef der britischen Finanzmarktaufsicht und damit bisher einer der Lordsiegelbewahrer der reinen Lehre, kam jüngst – weniger prosaisch - zu folgendem bemerkenswerten Schluss: „Wir haben uns zu sehr auf die Effizienz und die Selbstheilungskräfte der Märkte verlassen. In den vergangenen 25 Jahren haben die Volkswirte mit immer ausgefeilteren mathematischen Modellen zu beweisen versucht, dass Märkte effizient sind und sich Übertreibungen von selbst korrigieren. Sie haben den Zentralbanken und den Aufsichtsbehörden geraten, sich herauszuhalten. Heute wissen wir, dass diese Empfehlungen problematisch waren. Wir erleben nicht nur eine Krise des Finanzsystems, wir erleben eine Krise bestimmter Annahmen, die sich schlicht und einfach als falsch herausgestellt haben.“

 

Es ist diese Art von Offenheit in der Analyse, die ich mir für unsere aktuelle finanzmarktpolitische Situation wünsche. Auf ihr aufbauend sind mit Professionalität und Ernsthaftigkeit die richtigen Weichenstellungen vorzubereiten, mit denen in Zukunft vermieden wird, dass durch Entgleisungen des Finanzsystems die Realwirtschaft und damit die Gesellschaft als Ganze ins Wanken gerät.

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