die furche - 2

Schneller vorankommen mit bremsen

 

Die ausufernde Krise der Finanzmärkte entwertet nicht nur für sicher gehaltene Vermögensbestände, sie erschüttert auch bisher unverrückbare Wirtschaftstheorien. So wurde uns innerhalb nur weniger Wochen zur Selbstverständlichkeit, dass verlorenes Vertrauen ins Bankensystem zumindest vorübergehend durch Staatsvertrauen in Form von öffentlichen Garantien und Beteiligungen an Banken ersetzt werden muss. Vergleichbares liegt in der Wirtschaftsgeschichte sehr weit zurück.  

Ich gehöre nicht zu jenen, die mitten in einer dramatischen Krise gleich auch von den Chancen reden, die doch angeblich in jeder Katastrophe stecken. Aber wenn es schon sein soll: diese Krise birgt die Chance, dass es ab sofort keine Ausreden mehr gibt, den grundlegenden Um- und Neubau des Systems anzugehen. Wenn sich das globalisierte Finanzsystem so jenseitig entwickelt, dass es aus heiterem Himmel ohne massivste Staatsintervention vom Bankrott bedroht ist, dann stellt es sich als ganz offensichtlich weltfremder heraus als viele seiner Kritiker es waren. Und dann gibt es die Chance, jahrelang tabuisierte Grundsatzfragen neu zu stellen und taugliche Antworten darauf zu suchen.

Es ist an der Zeit, in diesem Zusammenhang die jungen Denkerinnen und Denker von Attac für ihre Zivilcourage vor den Vorhang zu holen. Sie stellen seit Jahren wichtige Fragen zu den fehlgesteuerten Finanzmärkten, die schon früher sorgfältigere Antworten verdient hätten. Eines ihrer Kernanliegen, die Besteuerung von spekulativen Devisen- und Kapitalmarkttransaktionen, hat nun die Chance, ernst genommen zu werden. Ich selbst befürworte eine Bagatellbesteuerung von Finanztransaktionen seit Jahren – oft zur Verwunderung, manchmal zum Ärger meiner Branchenkollegen – weil ich darin eine von vielen notwendigen Veränderungen sehe, mit denen Märkte in bessere Rahmenbedingungen gestellt werden können.

Wir müssen es wagen, den Markt-Fundamentalismus und seine absolutistischen Lordsiegelbewahrer zu entthronen. Und zwar – und das macht die Sache  anspruchsvoll – ohne die anti-marktwirtschaftlichen Vorurteile der Drachentöter des Neo-Liberalismus.

So wie es keine Alternativen zur Demokratie gibt – Demokratien lassen sich nur systemimmanent verbessern und verlebendigen – so gibt es meiner Überzeugung nach auch keine Alternative zur Marktwirtschaft. Sie muss jedoch ständig neu in die richtigen Rahmenbedingungen eingebunden werden, um neben möglichst hoher Wertschöpfung auch die sozialen und ökologischen Zielen einer Gesellschaft erreichbar zu machen.

Die Suche nach stark verbesserten Rahmenbedingungen für den Markt wird von Puristen oft als Bremse für die „natürlichen“ Marktkräfte dargestellt. Das ist ein grundlegender Irrtum. Josef Schumpeter hat, als ihm Gegner sozialpolitischer Regelungen in den Zeiten des Laissez-faire-Liberalismus der Dreißigerjahre mit ähnlichen Argumenten kamen, das treffende Bild von der Sozialpolitik als „Bremse“ gebraucht, mit der erst einmal ausgerüstet ein Auto viel schneller fahren kann als ohne sie.

Dieses Bild lässt sich gut auf die heutige Situation übertragen: Auch hier können klug erneuerte Regeln den sinnvollen Weg zu einem Mehr an sozial und ökologisch nachhaltiger Marktwirtschaft beschleunigen.

 

Oktober 2008

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