Pfingsten fiel in diesem Jahr auf den 200.Todestag von Joseph Haydn. Als er starb, war das politische Umfeld trübe. Vor den Toren Wiens spielten sich im Abstand weniger Wochen blutige, opferreiche Schlachten ab, bei denen das Heer Napoleons gegen die Österreicher einmal unterlag, beim nächsten Mal als Sieger hervorging.
Seit damals haben wir viel dazugelernt. Auch wenn die folgenden Friedensperioden immer wieder durch geschichtliche Katastrophen unterbrochen wurden: dass es geglückt ist, ein gemeinsames Europa zu schaffen, mit grenzüberschreitenden Freiheiten für alle seine Bürger, ist einzigartig und kostbar. Mit Blick auf die Lehren aus den beiden Weltkriegen lässt sich mit Fug und Recht sagen: Wir sind weit gekommen.
Angesichts der verbal-aggressiven Zuspitzung des soeben überstandenen EU-Wahlkampfes stimmt allerdings auch das - nur eine unscheinbare Veränderung der Wortstellung entfernte - Gegenteil: Weit sind wir gekommen. Wohl seit langem nicht mehr war der Tonfall so unversöhnlich, humorlos, parteilich, rechthaberisch. Als könnten wir uns der politischen Friedensordnung auf ewig sicher sein, trampeln einige mutwillig auf dem dünnen Eis der Zivilisation herum, als gälte es, seine Bruchstellen zu erkunden und dann zu schauen, was passiert.
Vollkommen abhandengekommen zu sein scheint in der Politik das im „normalen“ Leben so entlastende, im besten Fall zur Versöhnung führende Mittel der Ent-Schuldigung. Das hieße ja, einen Fehler einzugestehen. Politik aber ist nicht fehlerfreundlich. Deshalb gilt auch bei den ärgsten Entgleisungen: Augen zu und durch. Unter dem Schutz der Immunität fügt man einander Wunden zu, die möglicherweise nicht mehr heilen. Bei skrupellosen Rechtspopulisten überrascht das nicht. Aber von Peter Pilz, dessen Zivilcourage ich sonst schätze, hätte ich den Mut erwartet, seine absolut unakzeptable Beschimpfung des Vizekanzlers als „Austrofaschist“ zurückzunehmen.
Ideelle Allianzen gibt es offensichtlich erst im Leben nach der Politik – da schreiben dann Plassnik und Van der Bellen gemeinsame Essays im „Standard“, da parlieren die Altkanzler Vranitzky und Schüssel gelassen über gemeinsame Sichtweisen zum europäischen Projekt.
Dabei böte gerade ein hoffentlich bald durch den Lissabon-Vertrag gestärktes EU-Parlament zahllose Möglichkeiten, all-parteiliche Anliegen zu europäischen Themen zu machen. Aber nein: während wir auf unsere hervorragende Filmemacher und ihre globalen Erfolge stolz sind, bieten wir als Vorspann zur EU-Wahl eine mediokre Sit-Com, die in Cannes nicht einmal als B-Movie durchgehen würde.
Ich erhoffe mir deshalb eine Stärkung jener politischen Parteien, die seit unserer Zugehörigkeit zur EU weltoffen und professionell am Auftrag gearbeitet haben, mit einem demokratiepolitisch gefestigten Europa unseren Beitrag zu jener friedenssichernden „Zivilisationsökumene“ (Hermann Lübbe) zu leisten, von der die Opfer von Aspern und Wagram nicht einmal zu träumen gewagt hätten.