„Abendland in Christenhand“. Als ich wieder einmal nicht daran vorbei kam, diesen unsäglichen, verstörenden Plakattext zu lesen, fiel mir ein bildhafter Vergleich aus dem jüngsten, autobiographischen Prosatext von André Heller ein. Das schmale Buch heißt „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“. Ich fand die Passage, auf die es mir ankommt, beim ersten Nachschlagen. Sie lautet so: „Ich dachte, dass es auch seelische Luftschutzkeller geben müsste, um eine Zuflucht vor den Bombardements der Grobheit und Anmaßung zu bieten.“
Ins beinahe Unerträgliche steigert sich das Bombardement der Anmaßung seit der Veröffentlichung jenes Fotos, auf dem der Spitzenkandidat der Partei, die die EU-Wahl einen „Tag der Abrechnung“ nennt, seinem gegen einen Moscheen-Bau demonstrierenden Publikum ein grell beleuchtetes Kruzifix entgegenstreckt. Einen trivialeren und gleichzeitig in seiner Dreistigkeit bedrohlicheren Missbrauch eines religiösen Symbols habe ich in meiner politischen Erinnerung noch nicht erlebt.
Der seelische Luftschutzkeller, in dem ich ein paar Tage später Zuflucht fand, war die Jesuitenkirche. Dort erlebte ich im abendlichen Chorkonzert die Große C-Moll-Messe von Mozart, ein Werk von großzügig heller, weit ausgreifender Anlage, mit wunderbaren Sopran-Soli. Der Blick nach oben führte jedoch nicht zu einem von Engeln bevölkerten, barocken Kirchenhimmel, sondern zu der Installation „Jesuitenhimmel“ der beiden Künstler Rainer Dempf und Christoph Steinbrener. Deren monumentaler Großdruck zeigt hoch oben im Kirchenschiff den Blick auf die Erde aus dem All, mit einem an der Raumstation hantierenden Astronauten – eine Perspektive, wie wir sie in den letzten Tagen anlässlich der Reparatur-Mission der US-Astronauten wieder wahrgenommen haben.
Gustav Schörghofer, Rektor der Jesuitenkirche und Künstlerseelsorger in der Nachfolge des legendären Otto Mauer, hat mit diesem Kunstwerk seinem Kirchenraum für ein halbes Jahr eine neue Perspektive gegeben. „Nicht mehr um den Aufstieg des Blicks in himmlische Zonen geht es, sondern den Blick aus der Raumfahrerperspektive auf die Erde. So wendet sich der in der Kirche Aufschauende eigentlich nach unten, auf die Welt. Und vielleicht“ – so Schörghofer in seiner Bilderläuterung wörtlich – „ ist uns heute die Dringlichkeit eines der Welt zugewandten Engagements von verantwortlichen Persönlichkeiten in Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Religion, wie es mit diesem Kunstwerk vorgeschlagen wird, von Neuem erkennbar.“
Da wurde mir klar, dass ein wichtiger Teil dieses Engagements wohl darin bestehen müsste, zur Korrektur der plakativen Anmaßung beizutragen. Vielleicht wird es auch wieder Zeit für ein Lichtermeer, wie es seinerzeit so eindrucksvoll dem Anti-Ausländer-Volksbegehren der gleichen Partei entgegengesetzt worden war.
Zuvor aber erwarte ich eine klare Distanzierung der offiziellen Kirche vom politischen Missbrauch ihres zentralen Symbols – das Schweigen dazu dauert mir schon viel zu lange!