Klartext 19

Ausflüchte in Kunstwelten

 

Inmitten des Ansturms der vielen schlechten Welt-Nachrichten wollte ich mir die Salzburger Inszenierung der „Sternstunden der Menschheit“ von Stefan Zweig nicht entgehen lassen. Bei der Lektüre seines Buches während der Bahnfahrt in die Festspielstadt musste ich jedoch ernüchtert feststellen, dass nur wenige der darin versammelten schicksalhaften Ereignisse von positiven Wendungen erzählen, während der größere Teil vom Scheitern handelt. Das hatte ich wohl seit der Erst-Lektüre vor gut fünfzig Jahren verdrängt!

Dennoch ermöglicht Stefan Zweig seiner Leserschaft willkommenen Abstand vom bedrängenden Tagesgeschehen, indem er anschauliche Beispiele dafür liefert, dass unser Schicksal in den Sternen steht, obwohl wir es doch eigentlich in die Hand nehmen wollen.

Größtmöglichen Abstand zum politischen Geschehen wollte wohl auch Richard Strauß schaffen, als er 1942 die Oper „Capriccio“ komponierte. Eigentlich hatte er Stefan Zweig eingeladen, nach Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit („Die schweigsame Frau“) auch für dieses Werk das Libretto zu verfassen – da war es aber schon zu spät. Auf Strauss Versprechen, Zweigs Autorenschaft vor den ihn verfolgenden Nazis zu verheimlichen, konnte sich der inzwischen in die Emigration vertriebene Dichter der Sternstunden nicht mehr einlassen.

Tatsächlich lädt Richard Strauß meisterhaftes Spätwerk in seiner textlichen Kapriziertheit und kompositorischen Schönheit zur größtmöglichen Entfernung von der brutalen Wirklichkeit des Entstehungsjahres ein und wächst von einem Werk der Verdrängung zu einem des Widerstands.

Damals wie heute verbinden wir mit Sternstunden der Kunst die Hoffnung darauf, dass sie der Vernunft auf die Sprünge helfen – und am Ende doch wieder Sternstunden der Menschheit daraus werden.

14. August 2024

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