Klartext 17

Geldpolitik im Zielkonflikt

 

Nach der jüngsten Senkung des Euro-Leitzinses um 0,25 Prozent steht die Europäische Zentralbank (EZB) in einem schmerzhaften Zielkonflikt zwischen weiteren zinspolitischen Erleichterungen und dem Beharren auf hohen Zinsen bis zur Erreichung der Inflations-Messlatte von zwei Prozent.   

Immer deutlicher wird, dass der kollektive Modus der Entscheidungsfindung im EZB-Rat gerade in Krisensituationen zu fatalen Verzögerungen notwendiger Handlungsschritte führen kann. So hieß es noch bis zum Frühsommer 2022, man werde von den damaligen Nullzinsen erst abrücken, sobald eine Mindest(!)-Inflation von knapp unter 2 Prozent erreicht wäre. Nach viel zu langem Zögern folgte dann innerhalb eines halben Jahres eine Kaskade von Zinserhöhungen, die nicht nur zum Platzen spekulativer Blasen, sondern auch zu heftigen Einbrüchen der Konjunktur führten. Immerhin gelang es in der Folge, die zwischenzeitlich auf bis knapp über 10 Prozent explodierte Inflation wieder einzubremsen. Zuletzt ging sie sogar auf 2,6 Prozent zurück.

Zu hoffen ist nun, dass die EZB mit weiteren Zinsschritten nach unten nicht allzu lange wartet, nur um das anscheinend in Stein gemeißelte Zwei-Prozent-Ziel punktgenau zu treffen. Es ist nämlich hoch an der Zeit, von den lichten Höhen geldtheoretischer Prognosemodelle in die Niederungen der „Realwirtschaft“ zu steigen, um deren Bedürfnissen mitten in der größten Insolvenzwelle seit der Finanzkrise besser gerecht zu werden.

Zugleich gilt es, sich der Tatsache zu stellen, dass die Jahre einer das Preisgefüge dämpfenden, dynamischen Globalisierung vorbei sind. Die neuen handelspolitischen Gegebenheiten werden wohl für längere Zeit leicht erhöhte Inflationsraten zur Folge haben. Soviel Realitätssinn muss sein. 

20. Juni 2024

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