Die Vision weltweiten Wohlstands durch freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen nach den Regeln der Welthandelsorganisation gerät zunehmend unter protektionistischen Druck. Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte in diesen Tagen US-Präsident Joe Biden mit seiner Zollerhöhung von derzeit 25 auf künftig 100 Prozent für aus China importierte Elektroautos.
Er ergänzt damit sein mit dem „Inflation Reduction Act“ (IRA) vor zwei Jahren gestartetes Förderprogramm, das sicherstellen soll, dass die Lieferketten für sensible Industriegüter im eigenen Land beginnen und damit Arbeitsplätze zurückgeholt werden. Die Gesamthöhe der im Rahmen dieser „Bidenomics“ gewährten Steuernachlässe und Direktsubventionen für Investitionen in kritische Industriegüter wird auf 800 bis 1100 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Europa gerät durch diese aggressive Form der Industriepolitik immer stärker unter Handlungsdruck. Konnte der Subventions-Wettbewerb zwischen führenden EU-Mitgliedsstaaten bisher in einem einvernehmlichen Rahmen gehalten werden – trotz stolzer 10 Milliarden Euro Direktsubvention für den Chiphersteller Intel in Deutschland – droht nun zollpolitischer Konfliktstoff. Während nämlich Frankreich wenig Einwendungen gegen erhöhte Außenzölle gegenüber chinesischen Elektroautos hätte, wäre die in China höchst erfolgreiche deutsche Autoindustrie von chinesischen Gegenmaßnahmen überproportional betroffen.
Die USA drängen das rüstungspolitisch von ihr abhängige Europa zu härterem Vorgehen gegen ein mit ihm eng verflochtenes China, das gerade an neuen industriepolitischen Allianzen mit Russland schmiedet. Dass sich Europa in diesem herausfordernden Spannungsfeld ausgerechnet in einem Wahljahr industriepolitisch neu erfinden muss, macht die Sache nicht einfacher.
23. Mai 2024