Zeitgerecht vor der Europawahl liefert der streitbare Robert Menasse in doch recht kühner Anlehnung an Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“ unter dem Titel „Die Welt von Morgen“ einen engagierten Text über das „nach-nationale“ Europa und geht darin sehr kämpferisch zur Sache. Wer nämlich seine Vision von einem Europa, das alles Nationalstaatliche hinter sich lässt, nicht bedingungslos teilt, den betrachtet er ganz unumwunden als „Feind“ – oder zumindest als „dumm“.
Menasse ist ein blendender Schreiber. Sein europäischer Erweckungsroman „Die Hauptstadt“ ist ein packendes Stück Literatur. Seit einiger Zeit tritt er jedoch hinter dem literarischen Paravent immer stärker als Ideologe auf, der Dichtung und Wahrheit so aneinander kettet, dass sich über apodiktisch verlautbarte Inhalte nicht mehr trefflich streiten lässt.
Seine Ängste kreisen um die Wiederbelebung des Nationalstaates, aus dessen Überwindung Europa nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist – so, als müsste dieser immer nationalistisch sein. Wäre dann etwa die Schweizer Vielvölkerdemokratie kein Nationalstaat?
Und schon gar nicht schätzt er die Berufung auf Föderalismus oder gar – horribile dictu – das Subsidiaritätsprinzip!
Dabei ist Europa als ein in seinen Mitgliedsstaaten verwurzeltes supranationales Gebilde durchaus erfolgreich – wenn auch der Ausgleich zwischen gewachsenen Besonderheiten der Mitgliedsstaaten einerseits und gesamteuropäischen Strategien andererseits immer ein politischer Balanceakt sein wird.
Aus Europa wird jedenfalls nie – was auch Menasse nicht anstrebt – eine Kopie des US-Modells werden. Wir können weiterhin gut damit leben, auf Basis unverbrüchlicher europäischer Verbundenheit und schrittweiser Verfassungsreformen eine „(N)ever converging union“ zu sein.
25. April 2024