Vortrag beim Europäischen Forum Alpbach 2004, publiziert im Tagungsband „Grenzen und Grenzüberschreitungen“
I. Innovative Strategien im globalisierten Wettbewerb
Europa will sich, dem ehrgeizigen Lissabon-Ziel folgend, bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ entwickeln. Lissabon hat allerdings auch gezeigt, daß es bei der Fußball-Europameisterschaft so wenig wie in der Innovationspolitik nur darauf ankommt, daß Europa gewinnt. In Wahrheit stehen konkurrierende Teams – sprich Standorte – untereinander im scharfen innereuropäischen Wettbewerb. Das Paradoxon der europäischen Innovationspolitik lautet daher, daß sie erst dann gelingt, wenn gut trainierte Mitgliedsländer erfolgreich wettkämpfen.
Europäisch sind nur die Regeln des Binnenmarktes, mit denen das gemeinsame „level playing field“ in den Güter- Dienstleistungs- Personen- und Kapitalmärkten festgelegt wird. Um den standortpolitischen Sieg spielen aber müssen wir aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung.
Innovation ist in den letzten Jahren zum Pass-Wort für Erneuerung in Technologien/Produkten, Prozessen und Institutionen geworden, mit dem wir uns gesteigerte Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zugleich erhoffen. Es fällt auf, daß sie als Hoffnungsbegriff in den etablierten Marktwirtschaften das „Wachstum“ abgelöst hat. Innovation gilt als Schlüssel zum Ende aller Verknappung, als geradezu alchemische Formel für den Umgang mit knappen Ressourcen, als Produktivitäts-Maschine und als Vademecum gegen Verteilungskonflikte.
Es ist nicht wenig, was wir von Innovationspolitik verlangen. Im Grund scheinen wir damit gleich drei entscheidende Herausforderungen in einem bewältigen zu wollen:
Zum ersten die Stärkung Europas im Wettbewerb gegenüber den USA. Nachdem wir seit einem guten Jahrzehnt mit dem Vorwurf zu leben haben, in Sachen Wachstum und Produktivität hinter der Entwicklung in den USA herzuhinken, soll Technologie- und Innovationspolitik uns auf die Sprünge helfen. Den damit verbundenen Vergleich zwischen europäischen Hochsteuerstaaten und dem amerikanischen Modell beantwortet Karl Aiginger, Industrieexperte am Wirtschaftsforschungsinstitut, in seiner Stanford-Studie so, daß Österreich auf dem Weg zu dem, was er den „reformierten Wohlfahrtsstaat“ nennt, einigermaßen gut vorankommt, während große EU-Staaten wie Deutschland und Italien von strukturellen Nachteilen gebremst werden.
Zum zweiten geht es bei Innovationspolitik um die Bewältigung der neuen internationalen Arbeitsteilung und damit das Überleben des österreichischen Standortes in der Konkurrenz zu Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten. Dieses Thema ist trotz seiner brennenden Aktualität schon älter als das Wort Globalisierung. Peter Drucker, der in Wien geborene Doyen der Managementlehre hat es in seinem auch heute noch lesenswerten Buch über „Management in turbulenten Zeiten“ schon 1980 angeschlagen:
„Den Industriestaaten bleibt nur die Wahl zwischen möglichst schneller Innovation mit möglichst weitgehender Automation oder aber der Aufgabe bzw. Auslagerung von zu arbeitsintensiven Produktionsphasen und Industrien. Sie müssen sich vor allem auf die Entwicklung „wissensintensiver“ Bereiche und Branchen sowie auf das Ausnutzen neuer Energiequellen konzentrieren. Das heißt mit anderen Worten: sie dürfen sich nicht mit der bloßen Anpassung an den Strukturwandel begnügen, sondern müssen diesen bewußt initiieren und herbeiführen, um ihren Wohlstand und sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten“.
Zum Dritten steht Innovationspolitik in engem Zusammenhang mit der Frage nach der ökologischen Bewältigung jenes globalen Wachstumsschubes, der durch den Eintritt früher planwirtschaftlicher Länder in die Marktwirtschaft ausgelöst wurde. Die Dramatik dieses Themas zeigte sich zuletzt im Zusammenhang mit der Wachstumsdynamik Chinas aber auch mit der Unsicherheit über die Entwicklungen am Erdölmarkt. Lovins und Weizsäcker haben dazu in ihrem Buch „Faktor 4“ schon vor Jahren gezeigt, daß die Chance der hochentwickelten Industrieländern gegenüber den Adaptions- und Imitationsstrategien der emerging markets mit ihren hohen jährlichen Wachstumsraten nur in einer ressourcensparenden Innovationsstrategie bestehen kann.
II. Innovationsfinanzierung zwischen Forschungsförderung und Kapitalmarkt
Die Prozesse der Wertschöpfung haben sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten stark gewandelt. Viele der aktuellen Prozess-, Technologie- und Produktinnovationen sind mit einer Verschiebung von materiellen zu immateriellen Komponenten der Investitition verbunden. Einer Systematik von Professor Fritz Paschke folgend läßt sich zeigen, daß die Kosten für die Überwindung der „Schnittstellen“ zwischen Grundlagenforschung und Vorfeldforschung (Entdeckungen), zwischen Vorfeldforschung und Produktentwicklung (Inventionen/Erfindungen) und zwischen Produktentwicklung und Fertigung (Fertigungsüberleitung) stark gestiegen sind. Vor dem Hintergrund globalisierter Information ist „time to market“ zu einem noch entscheidenderen Faktor geworden, der Einfluß auf zunehmende Kosten der Markteroberung hat.
Technologieorientierte Wachstumsfinanzierungen entziehen sich damit aufgrund hoher Entwicklungs- und Marktrisiken gerade in kleineren Unternehmen den klassischen Finanzierungsmöglichkeiten. In Zeiten technologischen Aufbruchs und internationaler Neuverteilung von Marktpositionen über gut entwickelte Risiko-Finanzierungsinstrumente zu verfügen, wird damit zur Schlüsselqualität innovativer Standorte.
Nicht zufällig liegt der prozentuelle Anteil jüngerer Unternehmen unter der Gesamtheit aller großen Unternehmen an Standorten mit funktionierenden Börsen wesentlich höher als in den traditionell ausschließlich bank- und kreditorientierten Finanzierungskulturen. Und nicht zufällig haben mehr als fünfzehn der zwanzig größten Unternehmen der USA nach dem Modell von Microsoft, Intel oder Dell einen wesentlich Teil ihres Erfolges der frühen Unterstützung durch Venture Capital sowie den nachfolgenden Börsengängen zu verdanken.
Grundsätzlich sind mit der Einführung des Euro auch in Europa die Kapitalmärkte erwacht. Durch den Entfall von Währungsrisiken und die entscheidend höhere Gesamtliquidität des neben dem US-Dollar zur starken Nummer Zwei aufgestiegenen Euro-Kapitalmarktes sind auch Unternehmen in kleineren EU-Ländern interessante Investitionsobjekte für internationale Risikokapitalinstrumente geworden.
Allerdings trug die Kapitalmarktkrise im Gefolge des Milleniums-Booms zu einer starken Ernüchterung der Einschätzung der Leistungsfähigkeit gerade der auf Technologieunternehmen ausgerichteten Marktsegmente bei. Während die Marktkapitalisierung aller auf den europäischen Technologiebörsen notierenden Unternehmen, verstärkt durch mehr als 500 Neuzugänge, zwischen Anfang 1998 und Ende 2000 von Euro 7 Mrd. auf einen kumulierten Wert von ca Euro 167 Mrd. angestiegen war, kam es nach Zusammenbruch der New-Economy-Spekulation zu dramatischen Kurseinbrüchen. Trotz zwischenzeitlicher Erholungstendendenzen im Jahr 2003 ist der seither eingetretene De-facto-Stillstand bei den Neu-Emissionen bis heute noch nicht aufgehoben.
Es überrascht nicht, daß parallel zu den Aktienmärkten auch die Märkte für Private Equity und Venture Capital Rückschläge erlitten haben. Dennoch kann man davon ausgehen, daß sich in Kontinentaleuropa eine nachhaltig leistungsfähige Risikokapital-Szene etabliert, wie sie in den USA und Großbritannien seit Jahrzehnten besteht.
Innerhalb dieses Szenarios haben sich auch die Chancen Österreichs deutlich verbessert, über vitale Kapitalmärkte Risikokapital zu mobilisieren. Noch vor wenigen Jahren geäusserte Zweifel an der Notwendigkeit eines regionalen Finanzmarktes sind deshalb heute nicht mehr zu hören. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß gerade mittlere Unternehmen regionale Finanzplätze mit funktionierenden Börsen brauchen und es keinesfalls genügen würde, über ein Reuters-Fenster mit der Frankfurter Börse verbunden zu sein.
Die Entwicklung des Marktes für Venture Capital und Private Equity in Österreich zeigt, daß trotz eines im internationalen Vergleich noch immer geringen Gesamtvolumens die Investitionen gerade internationaler Investoren stark zugenommen haben – ein erfreulicher Hinweis auf die zunehmende internationale Vernetzung der heimischen Innovations- und Risikoinvestoren-Szenerie..
Am Beispiel des Bio-Tech-Clusters, dem schon mehr als 40 Unternehmen (darunter Intercell, Igeneon, Bender Med Systems) angehören – er war kürzlich der Frankfurter Allgemeinen einen ganzseitigen Report wert – , zeigt sich eindrucksvoll, wie wichtig es gerade für ein kleines Land wie Österreich ist, in den Euro-Kapitalmarkt integriert zu sein und gleichzeitig über einen eigenen, einigermaßen leistungsfähigen Kapitalmarkt zu verfügen.
Es lohnt sich daher, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den erfolgreichen Weg zur Stärkung des Finanzplatzes Österreich in Zentraleuropa fortzusetzen. Gerade weil österreichische Unternehmen und Banken in den stark wachsenden Märkten Zentral- und Südeuropas eine Vorreiterrolle übernommen haben, läßt sich die Teilhabe an realen Wachstumsmärkten mit innovativen Produkt- und Marktstrategien für den Weltmarkt erfolgreich kombinieren. Ein leistungsfähiger Finanzierungs-Cluster am Finanzplatz Österreich – einschließlich der Freien Berufe, Berater und kreativen Dienstleistungen – ist für eine solche Strategie längst zu einem entscheidenden standortpolitischen Vorteil geworden.
Vor dem Hintergrund einer aus meiner Sicht klar erkennbaren Tendenz der Überregulierung im Zusammenhang mit oft den Eindruck von Anlaßgesetzgebung erweckenden Gesetzesmaterien (Wirtschafts-Hygienegesetz, Unternehmensstrafrecht, neue Rahmenrichtlinien zum Kreditgeschäft etc.) werden wir allerdings darauf zu achten haben, daß dieser Erfolg nicht durch ein Zuviel an Reglementierung gefährdet wird. Andernfalls geraten wir auf ein Spielfeld, das so dicht mit rote und gelbe Karten austeilenden Schiedsrichtern bestückt ist, daß unternehmungslustige Spieler keine Torchancen mehr wahrnehmen können.
III. Grenzen der Finanzierbarkeit – Grenzen des Wachstums
Die Menge veranlagungsuchenden Kapitals ist nahezu unbegrenzt. In von kollektiven Erwartungen der Anleger abhängigen Märkten führt das zu den bekannten „asset“-Inflationen, also spekulativer Überhitzung in bestimmten Veranlagungskategorien. Mit der Ausnüchterung im Gefolge des geplatzten Milleniums-Spekulation scheint sich zur Zeit allerdings wieder die Erkenntnis durchzusetzen, daß zumindest langfristig die Renditen der Finanzwirtschaft nicht höher ausfallen können als jene der Realwirtschaft.
Grenzen des Wachstums sind im Finanzierungsbereich jedenfalls solange nicht absehbar, als es reale Wachstums- und Innovationschancen gibt. Andererseits sind verfügbare Finanzmittel notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für wirtschaftliches Weiterkommen. Um wirklich finanzierbar zu sein, müssen Unternehmen für innovative Projekte Fördermittel attrahieren, einen risikofreudigen Investor begeistern oder Kapitalmarkt-Ansprüchen genügen. Die Grenzen des Wachstums liegen daher selten in einem Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten, sondern in einem Mangel an finanzierbaren Möglichkeiten.
Was für die Ebene des Unternehmens gilt, trifft im übertragenen Sinn auch auf die gesamtwirtschaftliche Ebene zu. Sowenig wie unternehmerische Leistungsprozesse voraussetzungslos funktionieren, sowenig können marktwirtschaftliche Systeme auf politisch verantwortete Rahmenbedingungen verzichten. Das zeigt sich in den sogenannten Emerging Markets unserer Welt seit dem Zerfall der realsozialistischen Systeme in den unterschiedlichsten Ausformungen, vom aufgeklärten Absolutismus Chinas mit seinen zweistelligen Wachstumsraten bis zum beeindruckenden Aufbruch in Indien und anderen asiatischen Tigerstaaten. Der Schlüssel für die Erweiterung der Grenzen des Wachstums liegt hier offensichtlich in institutionellen Innovationen, mit denen der Anstoß für eine Vielzahl neuer, finanzierbarer Möglichkeiten gegeben wird.
Die Erweiterung der Europäischen Union liefert vor unserer Haustür das wohl eindrucksvollste Beispiel einer exemplarisch gelungenen, innovativen Systemtransformation. Mit dem EU-Beitritt ehemaliger Planwirtschaftsländer wurden eineinhalb Jahrzehnte nach dem Eisernen Vorhang auch die letzten Grauschleier der staatswirtschaftlichen Wachstumsgrenzen weggezogen. Die katalysatorische Wirkung der Systemerneuerung nach dem Binnenmarkt-Modell hat aus Mangelwirtschaften Chancenwirtschaften mit durchwegs aussichtsreichen Wachstumsperspektiven gemacht.
Mit der Globalisierung stellt sich die zentrale Frage, wie es auf vergleichbare Weise in bisher schlecht entwickelten Volkswirtschaften der „Vierten Welt“ gelingen kann, systembedingte Grenzen des Wachstums zu sprengen, um endogene Erneuerung zu ermöglichen und neue Quellen der Wertschöpfung zu erschließen.
Die Prioritätenpyramide der Maßnahmen geht von der Deckung von Grundbedürfnissen in den Bereichen Gesundheit und Bildung über die Schaffung von Infrastrukturen zur Einrichtung funktionierender Rechtssysteme. Erst mit der Geltendmachung der „rule of law“, mit durchsetzbaren Eigentums-, Haftungs- und Vertragsrechten lassen sich auf Basis individueller Freiheiten der freien Berufs- und Ausbildungswahl unternehmerische Wertschöpfungsprozesse in Gang setzen. Und erst unter solchen Rahmenbedingungen beginnt sich ein leistungsfähiges Finanzierungssystem zu entwickeln.
Wohl nicht zufällig befaßt sich der mit seinen radikalen Konzepten der Systemkonversion in Bolivien, Polen und Rußland bekannt gewordene ehemalige Harvard-Professor Jeffrey Sachs – er wurde vor zwei Jahren an der Columbia Universität in New York mit dem Aufbau des „Earth-Institutes“ beauftragt – in jüngster Zeit im Auftrag des UNO-Generalsekretärs mit dem Aufbau eines globalen Gesundheitsfonds. Er versucht, mit institutioneller Entwicklungspolitik in Verbindung mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Massenarmut und des Analphabetismus dafür zu sorgen, daß die Globalisierung funktioniert.
In einem vielbeachteten, in sarkastischer Anspielung auf die irrwitzigen Rüstungsausgaben von 800 bis 1000 Mrd. Euro pro Jahr mit „Weapons of mass salvation“ überschriebenen Artikel im Economist rechnet er vor, mit welch prozentuell vergleichbar kleinen Investitionsbudgets das Nord-Süd-Thema ernsthaft anzugehen wäre. Jene 0,7 der Wertschöpfung, zu denen sich die OECD-Länder längst verpflichtet haben, würden bei richtigem Einsatz bereits viel bewegen. Aber noch sind erst wenige Länder bereit, diese Wandelanleihe auf eine bessere Zukunft für die armen Regionen zu zeichnen.
Auch der „Kopenhagen-Konsensus“, ein Versuch acht renommierter Ökonomen, eine Prioritätenliste zur Bekämpfung der größten Probleme der Welt zu erarbeiten, stellt den Kampf gegen Krankheiten (Aids, Malaria), Analphabetismus, Wasser-Versorgungsnot und Unterernährung an die Spitze der Agenda.
Der pragmatische Wirtschafts-Weise Peter Drucker hat schon Anfang der Neunzigerjahre die Integration der bisher benachteiligten Länder in eine leistungsfähige Globalökonomie gefordert. Mit innovativen institutionellen Reformen ließen sich die Grenzen des Wachstums um ein weiteres Stück aufzustossen und damit neue Wertschöpfungs- und Wohlstandschancen erschließen.
Es zeigt sich, daß Innovation und Finanzierung im Unternehmen wie in der Globalökonomie letztlich im gleichen Spannungsverhältnis stehen: in beiden Bereichen geht es darum, aus Finanzierungsmöglichkeiten finanzierbare Möglichkeiten zu machen.