So schwer das fallen mag: In der Ukraine-Frage muss Europa zu einer eigenständigen Haltung finden.
Seit wenigen Tagen ist Kroatien Teil des Euro-Raums. Zusammen mit der Zugehörigkeit zum Schengen-Raum ist das ein Erfolg für beide Seiten. Auch die unter dem zuletzt tschechischen Vorsitz erreichten Kompromisse – nicht nur in Sachen „Energiedeckel“ – können sich sehen lassen. Sie sind ein Teil jener erstaunlichen Geschlossenheit, zu der die Europäische Gemeinschaft im Gefolge des brutalen russischen Überfalls auf die Ukraine gefunden hat.
Diese durchaus vielversprechende europapolitische Ausgangslage zu Beginn des neuen Jahres lässt auf weitere Fortschritte bei komplexen Themen hoffen – von der Migrationsfrage bis zu pragmatischen Lösungen für den Zielkonflikt zwischen Klimagerechtigkeit und ausreichender Energieversorgung. Allzu optimistische Erwartungen können allerdings jederzeit in Ernüchterung kippen, solange der weitere Verlauf des immer noch eskalierenden Ukraine-Krieges für Verunsicherung sorgt.
Gerade zu dieser Frage legt jedoch die Union seit geraumer Zeit eine seltsame Sprachlosigkeit an den Tag, die auf eine doch sehr nachdenklich machende Kombination von Macht- und Ratlosigkeit schließen lässt. Es hat den Anschein, als überließe man, von Solidaritätsbekundungen abgesehen, den USA alle maßgeblichen „westlichen“ Aussagen zu dieser Causa Prima.
Dabei wäre der vorweihnachtliche Besuch von Präsident Selenskyj im US-Kongress ein guter Zeitpunkt für eine eigenständige europäische Positionierung gewesen, die deutlich macht, dass die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Eröffnung von Verhandlungen nicht auf Dauer allein der Ukraine überlassen werden kann. Spätestens als NATO-Generalsekretär Stoltenberg dies vor wenigen Tagen neuerlich als die einzig richtige Vorgangsweise hervorhob, hätte dies den Anlass für eine differenziertere Stellungnahme seitens Brüssel geboten. Sie blieb aber aus.
Nicht nur die Politik, auch die meisten (Wirtschafts-)Medien halten sich im Übrigen bei ihren Prognosen eines nur knapp an der Rezession vorbeischrammenden Wachstums und einer auf absehbare Zeit überhöhten Inflation mit Verknüpfungen zum anhaltenden Ukraine-Krieg zurück, obwohl er doch die entscheidende Ursache dieser wenig erfreulichen Entwicklungen ist. Derlei kollektive Verdrängung hilft jedoch auf Dauer nicht weiter.
Ein auf unbestimmte Zeit in Verlängerung gehender Abnützungskrieg zwischen dem Aggressor Russland und der Ukraine wird nämlich nicht nur noch mehr Opfer und menschliches Leid nach sich ziehen, sondern auch die Barrieren der Unversöhnlichkeit weiter anwachsen lassen. Deshalb ist es hoch an der Zeit für europäische Initiativen in Richtung eines realistischen Verhandlungsfriedens.
Und Nein: es ist nicht unethisch, dies zu fordern, wenn es im Ergebnis sehr viel Leid und immense Sozial- und Sachschäden zu vermeiden hilft. Dass es im Ergebnis zu Zugeständnissen beider Seiten kommen wird müssen, ist für die Ukraine als Opfer des Putin´schen Überfalls bitter – noch bitterer jedoch wäre ein Schrecken ohne Ende in Form eines europäischen Krieges.
05. Jänner 2023