Die Finanzmarktökonomie steht erst am Anfang. Für die Wirtschaftsnobelpreis-träger von übermorgen gibt es viel zu tun!
Meist blühen, ja wuchern im Vorfeld der Nobelpreis-Verleihungen Spekulationen darüber, wen es wohl diesmal treffen könnte. Das gilt regelmäßig auch für den von der Schwedischen Reichsbank seit 1969 gestifteten Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Meine Erwartung, diesmal würde spät aber doch das AutorInnenteam der vor fünfzig Jahren im Auftrag des „Club of Rome“ entstandenen Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ ausgezeichnet, hat sich allerdings nicht erfüllt – obwohl damals Dennis L. Meadows gemeinsam mit seiner Frau Donella und dem Norweger Jorgen Randers eine wahrhaft fundamentale Wende des ökonomischen Denkens einleitete.
Dennoch ist das Ergebnis der diesjährigen Verleihung respektabel. Denn die drei amerikanischen Ökonomen Ben Bernanke, Douglas Diamond und Philip Dybvig wurden für Erkenntnisse zum Bankensystem und den Ursachen von Finanzkrisen zu einem Zeitpunkt ausgezeichnet, in dem das Finanzsystem wieder unter großem Druck steht. Zwar kritisieren einige Fachkollegen, man würdige eine letztlich längst überholte Sicht der Rolle der Banken bei der Geldschöpfung. Der renommierte Ökonom Peter Bofinger meint gar, ihm erschiene die Preisverleihung so, „wie wenn man Ptolemäus mit dem Physik-Nobelpreis für die Erkenntnis ehren würde, dass die Sonne um die Erde kreist“.
An der Entscheidung jedoch, in der Person von Ben Bernanke jemanden vor den Vorhang zu bitten, der 2008 als damaliger Chef der amerikanischen Notenbank maßgeblich dazu beigetragen hat, dass aus der Finanzkrise keine Weltwirtschaftskrise wurde, gibt es nichts auszusetzen. Dass Bernanke in seinen jüngeren Jahren die Ursachen der Weltwirtschaftskrise 1929 zu seinem Forschungsschwerpunkt gemacht hatte, erwies sich 2008 nämlich als Glücksfall. Im Zusammenspiel mit den anderen großen Notenbanken der Welt stellte er sicher, dass sich die Geschichte nicht wiederholt und der Lehman-Pleite keine weiteren Zusammenbrüche von Großbanken folgten, die am Ende die komplette „Realwirtschaft“ wie in den Dreißigerjahren nach unten gerissen hätten.
Das aktuelle Problembündel von überschießender Inflation, steigenden Zinsen, damit verbundenen Abwertungen von Anlagevermögen und drohender Rezession hält auch heute wieder die Notenbanken auf Trab. Dass nach der Finanzkrise wirksame regulatorische Maßnahmen zur Eindämmung der immer noch höchst schwankungsanfälligen Welt der Finanzspekulation versäumt wurden, erschwert die Lage zusätzlich. Die an flüchtige Marktwerte gebundenen Bilanzierungssysteme sorgen für Verunsicherung, unkontrollierte Schattenbanken strapazieren die Geldmärkte bis an ihre Belastungsgrenzen.
Offensichtlich fehlt in der Finanz-Ökonomie eine Gesamtsicht der systemischen Zusammenhänge als unabdingbare Voraussetzung für Finanzmarktstabilität. Bis es dazu valide Forschungsergebnisse der Wirtschaftsnobelpreisträger von übermorgen gibt, werden die Notenbanken im Kampf gegen Finanzkrisen weiterhin mit „unkonventionellen“ Maßnahmen improvisieren müssen. Mögen sie erfolgreich sein!
20. Oktober 2022