die furche - 352

Die EZB hat es schwerer als die FED

Wieder einmal hat die EZB in der Not das Richtige getan. Dennoch sollte die überfällige Reform der Maastricht-Regeln nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Von Führungskräften wird erwartet, dass sie gerade auch in turbulenten Zeiten, bei aller Unvorhersehbarkeit kommender Entwicklungen, Entscheidungen treffen – mit dem Risiko, dass sich diese im Rückblick gesehen als „falsch“ herausstellen können. Notenbanker scheinen diesem Risiko in besonderem Maß ausgesetzt zu sein. So wirft man EZB-Präsidentin Christine Lagarde vor, sie habe das Inflationsrisiko bis zuletzt unterschätzt sowie Zinserhöhungen in die Länge gezogen und sei damit an so ziemlich allem Schuld, was derzeit wirtschaftlich schiefläuft. Die aus der Zeit ihres Vorgängers Mario Draghi stammenden Erwartungen in eine „deus-ex-machina“-artige Heilkraft der Notenbank in Fragen der Finanzmarktstabilität und der Konjunktursteuerung weichen gerade einer greifbaren Ernüchterung über das Machbare.

Dabei funktionieren die Zusammenhänge zwischen Geldmenge, Inflation und Geldwert auch in den USA nicht mehr so, wie das die finanzpolitischen Lehrbücher vorsehen. Eine Inflation, die überwiegend durch angebotsseitige Störungen in Folge der Corona-Krise und kriegsbedingte Preisgewitter auf den Rohstoff- und Energiemärkten verursacht wird, kann nun einmal nicht durch bloßes Drehen an der Geldmengen- und Zinsschraube zurückgefahren werden.

Wie gerne hatten wir uns nach der Finanzkrise 2008 daran gewöhnt, dass die EZB am Ende immer einen gangbaren Ausweg findet. Das Erwartungsmanagement der Notenbank funktionierte selbst dann noch, als die Erklärungen für all die „unkonventionellen“ Maßnahmen bereits anfechtbar waren. Oder sollten Nullzinsen und massiv gestiegene Käufe von Staatsanleihen tatsächlich keinen anderen Zweck verfolgt haben, als die lange als zu niedrig angesehene Inflation endlich auf einen Zielwert von knapp unter zwei Prozent zu bringen und die Konjunktur in Schwung zu halten? Diese Begründungen halfen jedenfalls zu verbergen, wie sehr die EZB längst von einer Institution zur Sicherung der Finanzmarktstabilität zu einer unverzichtbaren Instanz des europäischen Zusammenhalts geworden ist.

Euroland ist nun einmal nur Geldunion und nicht zugleich – wie die USA – auch Fiskalunion. Der mit der budgetären Selbständigkeit der Mitgliedsstaaten verbundenen Gefahr einer unerwünschten Fragmentierung oder gar eines Zerfalls muss deshalb laufend gezielt begegnet werden. Ganz im Bewusstsein dieser entscheidenden Funktion ist es eben erst der EZB mit der Einrichtung eines flexiblen Instruments für künftige Anleihekäufe (TPI / Transmission Protection Instrument) diskret gelungen, der Spekulation gegen hoch verschuldete Euro-Staaten wie Italien wirksam entgegenzusteuern.

In absehbarer Zeit wird es allerdings unumgänglich sein, diese und andere aus der Not geborene Maßnahmen in eine grundlegend überarbeitete europäische Finanzverfassung („Maastricht II“) zu bündeln. Für die Bewältigung dieser anspruchsvollen Aufgabe verdient Frau Lagarde mit ihrem Erfahrungshintergrund als langjährige Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds mehr konstruktives Mitdenken und weniger oberflächliche Kritik. 

08. September 2022

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