Die traditionellen, diplomatischen Verständigungswege zwischen Konfliktparteien müssen neu belebt werden.
Geheimdiplomatie gilt traditionellerweise als akzeptiert, weil es zweckdienlich ist, in der Öffentlichkeit einander nicht alles ins Gesicht zu sagen und viel Gewicht auf Zwischentöne zu legen. Bei Beobachtung des gegenseitigen Umgangs von SpitzenpolitikerInnen aus der letzten Zeit drängt sich allerdings der Eindruck auf, die Kunst der feinen Klinge sei abgeschafft. Ein unrühmliches Beispiel dafür lieferte ausgerechnet Präsident Joe Biden, als er im März 2021 vom US-Sender ABC befragt wurde, ob er Präsident Putin für einen Mörder („killer“) halte und darauf mit einem spontanen „Yes I do“ antwortete. Auch wenn er in dieser Einschätzung traurigerweise durch den brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine bestätigt wurde – es war doch eine Tonart, die man eher seinem Vorgänger zugetraut hätte.
Auch die Medien erwarten mittlerweile von TeilnehmerInnen an politischen Begegnungen möglichst konfrontative Ehrlichkeit schon im Vorfeld – selbst dann, wenn die ganze Welt zuschaut. Wer seinem Gesprächspartner nicht unverblümt ausrichtet – oder, derber gesprochen: hineinsagt – was er von ihm alles (nicht) hält, gilt als opportunistisch und allzu soft. Das kann dann dazu führen, dass der angesprochene politische Gegner, wie das beim russischen Außenminister Lawrow anlässlich des G20-Außenministertreffens in Bali der Fall war, die Tagung nach dem eigenen Statement – undiplomatischerweise – verlässt, ohne sich den aus den Medien bereits bekannten Anschuldigungen der westlichen Amtskollegen auszusetzen. Ausnahmen von der sich verbreitenden Nicht-Diplomatie scheint es neuerdings nur gegenüber Autokraten erdölfördernder Regime zu geben – Ihnen erspart man Vorwürfe, die die Aussicht auf zusätzliche Energielieferungen gefährden könnten.
Ungeachtet dessen versammelt man sich in den multinationalen Gremien weiter, als könnten die ritualisierten Gespräche dort zu konkreten Ergebnissen führen. Dabei ist der aus den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges bestehende Sicherheitsrat, in dem neben den USA, Frankreich und England auch Russland und China über ein Vetorecht verfügen, in unserer multipolaren Welt in seiner Kernaufgabe nachhaltiger Friedensstiftung offensichtlich überfordert.
Entsprechend blutleer scheint in diesen Tagen des Gedenkens an den Atombombenabwurf über Hiroshima vor 77 Jahren die UNO-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag zu verlaufen. Dazu kommt, dass neue technische Möglichkeiten Anreize zum niederschwelligen Einstieg in den Club der Atommächte bieten und autokratische Regime zu unkontrollierbaren Alleingängen verleiten. An die noch im Juni bei der Konferenz zur gänzlichen Abschaffung der Atomwaffen in Wien vertretenen Positionen von immerhin 86 Unterzeichnerstaaten – zu denen allerdings keine einzige Atommacht und auch kein NATO-Staat gehört – erinnert sich schon jetzt niemand mehr.
Dennoch müssen wir hoffen, dass aus der aktuellen, sich nun auch in Asien zuspitzenden Situation wieder Auswege gefunden werden. Vielleicht hilft ja Geheimdiplomatie dabei.
11. August 2022