Wir erleben eine gefährliche Inflation der Erwartungen an einen für alles aufkommenden Staat.
Ob der hitzigen parlamentarischen Auseinandersetzung um die Impfpflicht ging am Donnerstag vergangener Woche beinahe unter, dass am selben Tag die öko-soziale Steuerreform beschlossen wurde. Mit ihrem vernünftigen Mix aus Entlastungen für niedrigere und mittlere Einkommensschichten, Stärkung der Familien, Premiere einer CO2-Besteuerung und Senkung der Körperschaftssteuer hätte sie wohl deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient.
Als jedoch verlautete, zu welchem Preis die Last-minute-Mehrparteien-Einigung auf den Pflichtstich-Kompromiss erkauft wurde, gab es kein anderes Thema mehr. Denn ganz so, als wäre das Geld schon abgeschafft, verkündete die Bundesregierung aus heiterem Himmel die Einführung einer Impflotterie. 500 Euro soll nun für in etwa jede zehnte Impfung ausgeschüttet werden. Die geschätzten Kosten dieser Unmündigkeitsprämie für alle spät Bekehrten liegen bei einer Milliarde Euro. Auch jene, die sich zuvor schon aus Selbstschutz und Rücksichtnahme den Stich geholt hatten, sollen bedacht werden. Dazu kommen noch – voilà! – 400 Millionen für die Gemeinden mit den höchsten Impfquoten. Das kann schon kurz fassungslos machen.
Offensichtlich haben die von der Pandemie erzwungenen Sonderausgaben alle bisherigen budgetären Maßstäbe ausgehebelt. Insgesamt wird COVID nach Berechnungen des Fiskalrates Mehrschulden von etwa 64 Milliarden verursacht haben, von denen etwa 60 Prozent auf die direkten Kosten wirtschaftspolitischer Stabilisierungsmaßnahmen entfallen. Diese (Un-)Summe entspricht dem vielfachen Volumen einer Steuerreform.
Auch wenn der hohe Mitteleinsatz krisenbedingt erforderlich war: die durchaus reizvolle, jedoch letztlich hypothetische Frage, ob eine frühere Inaussichtstellung unkonventioneller Anreizsysteme á la Impfprämie geholfen hätte, Lockdowns zu verkürzen und damit Teile dieser Kosten zu ersparen, lässt sich nicht seriös beantworten.
Die von der Krise ausgelöste Inflation der Erwartungen an einen für alles aufkommenden Staat birgt jedenfalls große Gefahren für die langfristige (finanz-)politische Stabilität, denn die Schuldenquote lässt sich nun einmal nicht unlimitiert steigern. Unabhängig von den kommenden Verhandlungen auf europäischer Ebene über neue fiskalpolitische Spielregeln muss deshalb alles getan werden, um Long-Covid-Verläufe im Staatshaushalt zu verhindern und in eine „neue Normalität“ zurückzufinden.
Schon deshalb wäre es ratsam, auf die zuletzt von Finanzminister Brunner angekündigte Abschaffung der Kapitalertragssteuer für Wertpapiere, die länger als ein Jahr gehalten werden, zu verzichten. Denn wer Erträge aus Wertpapiergeschäften hat, kann dafür durchaus, unabhängig von der Haltedauer, Steuer zahlen. Und wer eine Aktienkultur für breitere Schichten fördern will, kann die bereits jetzt bestehenden Freibeträge anheben. Selbst wenn diese Maßnahme im Regierungsprogramm verankert ist: man kann ja klüger werden und einen ersten Beitrag zur Stabilisierung des Budgets leisten. Mündigen Steuerbürgern lässt sich das gut erklären.
27. Jänner 2022