Politik ist zu wichtig, um sie den Propagandisten der Parteilichkeit zu überlassen.
Es war zu Anfang August dieses Jahres, als eine mehr als schräge Werbekampagne für überregionale Aufregung sorgte. „Linz ist grauslich“ hieß eine der ungewöhnlichen Botschaften, mit denen der Tourismusverband der oberösterreichischen Landeshauptstadt allen Ernstes hoffte, Gäste anzuziehen. Mehr oder weniger originelle Videos unterstützten die paradoxe „Message“.
Als die innenpolitische Meldungslage zuletzt den Eindruck erweckte, auch die Republik hätte sich dazu entschlossen, mit Negativwerbung Furore zu machen, musste ich unwillkürlich an diese merkwürdige Kampagne denken, wirkten doch die aus Gerichtsakten geleakten Chat-Protokolle mit Texten von unterirdischem Niveau zunächst wie Spots aus einer raffiniert inszenierten „Politik ist grauslich“-Kampagne. Doch bald wurde klar, dass es sich bei dieser Ballung an Zumutungen eben nicht um eine schlecht gemachte Kampagne, sondern um Abbilder einer mehr als unerfreulichen Realität handelt.
Sebastian Kurz hat in letzter Sekunde vor seiner drohenden Abberufung auf Drängen der Landeshauptleute auf das Kanzleramt verzichtet. Dieser Schritt ist wohl erst der Anfang einer zunehmenden Entfremdung von wichtigen Teilen der Partei und ihrer traditionellen Wählerschaft. Ein erstes Indiz dafür sind die Niederlagen bei der Bürgermeister-Stichwahl in Oberösterreich. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass Kurz im Fall von doch noch hereinbrechenden Neuwahlen wieder als Spitzenkandidat ins Rennen geschickt würde.
Vor dem Hintergrund der gewichtigen Gesetzesmaterien, die gemäß dem Regierungsprogramm abzuarbeiten sind, ist jedenfalls zu begrüßen, dass die schwarz-grüne Koalition handlungsfähig bleibt. Nicht zuletzt kann so die weitgehend gelungene öko-soziale Steuerreform heil über die Bühne gebracht werden.
Von der Opposition wäre zu wünschen, dass sie sich nicht weiter monothematisch in den „das korrupte System Kurz muss weg“-Modus verbeißt und damit ungewollt sich selbst marginalisiert. Dass nun neuerlich ein Untersuchungs-Tribunal blüht, statt die Gerichte arbeiten zu lassen, verweist allerdings aufs Gegenteil.
Dennoch wäre ein Mindestmaß an Wertschätzung gegenüber dem politischen Mitbewerber gefragt. Und ich meine damit mehr als die doch überraschende Behändigkeit, mit der sich Pamela Rendi-Wagner bereit erklärte, nicht nur mit den Neos und den Grünen, sondern auch mit den bis kurz davor geächteten Kickl-Freiheitlichen ein Regierungsbündnis einzugehen.
Dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft fallweise den Eindruck übereifrigen investigativ-journalistischen Einsatzes im Dienst des Ibiza-Ausschusses hinterließ, sollte im Übrigen unabhängig von der Kurz-Causa zum Thema einer sachgerechten justizpolitischen Aufarbeitung werden. Denn „Politjustiz“ – oder auch nur der Anschein davon – passt zwar in eine imaginäre „Politik ist grauslich“-Kampagne, sollte aber in der Wirklichkeit keinen Platz finden.
Und ganz allgemein gilt: Politik ist zu wichtig, um sie den Propagandisten und Prätorianern der Parteilichkeit aller Couleurs zu überlassen.
14. Oktober 2021