die furche - 320

EU-Finanzverfassung: Die Zeit drängt

Europas Finanz-Architektur braucht eine Generalüber-holung - daran ändert auch die erfolgreiche Erstplatzierung von Gemeinschafts-anleihen nichts.

Dass die von der Covid-Krise verursachten ökonomischen Verwerfungen derzeit keinerlei verlässliche Prognosen zulassen, setzt Europas Notenbanker gehörig unter Druck. Auch die Finanzpolitik ist durch die stark eingeschränkte Planbarkeit der Staatsbudgets der kommenden Jahre extrem gefordert. Nach diesem einschneidenden Schuldenschock – es ist bereits der dritte nach der Finanz- und der Euro-Staatsschuldenkrise – gibt es jedenfalls keine Rückkehr mehr zu den alten Spielregeln des Euro-Gründungsvertrages von Maastricht. Aus gutem Grund wurde deshalb das geltende Regelwerk für das laufende und gleich auch das kommende Jahr vorsorglich außer Kraft gesetzt.

Europas Geld- und Fiskalpolitik sind heute so eng verzahnt wie nie zuvor. Deshalb heißt es nun, in einem gemeinsamen Nachdenkprozess von Notenbank und EU-Finanzministerrat mit nüchternem Blick einen Rahmen für das künftig Machbare zu entwickeln. Dabei geht es bei Wahrung des Grundsatzes der budgetären Eigenverantwortung aller Euro-Staaten um die Einigung auf neue, realistische Maßstäbe fiskalischer Solidität. In Diskussion steht bereits ein künftiger Ziel-Korridor von 90 (statt bisher 60) Prozent Höchstanteil der Staatsschuld am jeweiligen Bruttosozialprodukt. Weil auch dieser Spielraum für einzelne, schon heute deutlich höher verschuldete Mitgliedsstaaten nicht ausreichen wird, sind alternativ auch länderspezifische Grenzwerte im Gespräch.

Das Zeitfenster für die Festlegung auf eine neue Fiskalordnung könnte sich allerdings rascher schließen als erhofft, da die ansteigende Inflation gerade dabei ist, der EZB einen Strich durch ihre großvolumige Anleihen-Ankaufspolitik zu machen. Diese lässt sich nun nicht länger mit dem Streben nach einer Mindestinflation von knapp unter zwei Prozent begründen. Auch die zur Ankurbelung der Wirtschaft praktizierte Nullzinspolitik gerät angesichts hochschnellender Wachstumskurven in einen argumentative Sackgasse. Jeder Halbsatz europäischer Notenbanker wird deshalb derzeit doppelt und dreifach daraufhin abgeklopft, ob man etwa vorhat, die Anleihekäufe zurückzunehmen und den Geldmarktzins zu erhöhen. Als Folge davon würden die Anleihekosten der Mitgliedsstaaten wohl rasch wieder auseinanderstreben und eine zweite Euro-Staatsschuldenkrise stünde vor der Tür.

Denn obwohl die Platzierung der ersten Tranche gesamteuropäischer Anleihen für das Corona-Hilfspaket unter Federführung von EU-Finanzkommissar Johannes Hahn erfreulich gut gelungen ist, führt doch nichts an der Tatsache vorbei, dass die große Masse der Staatsschulden auch in Hinkunft aus eigener Budgetkraft der Mitgliedsstaaten zurückerstattet werden muss.

Österreich tut auch aus diesem Grund gut daran, bei der Suche nach der künftigen Finanzverfassung Europas – ähnlich wie im Vorjahr – wieder Allianzen mit anderen Nettozahlerstaaten einzugehen. Immerhin wird die Notwendigkeit eines solchen Gegengewichts zu den machtvollen Befürwortern weiterer Schritte in Richtung „Schuldenunion“ mittlerweile weitgehend anerkannt.

24. Juni 2021

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