Bedarfsorientierte Hilfe bewirkt mehr als ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) hat es – trotz schwachen Zuspruchs bei einem 2019 lancierten Volksbegehren – in den letzten Jahren auf der Prioritätenliste gesellschaftspolitischer Themen immer weiter nach oben geschafft. Eine sehr diverse Allianz von Persönlichkeiten mit marktliberaler, gemeinwohlorientierter und christlich-sozialer Motivation vertritt die Auffassung, dessen Einführung brächte einen entscheidenden Durchbruch zu mehr Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich mit sich. Die Katholische Sozialakademie sieht darin sogar einen zentralen Baustein der Soziallehre.
Allerdings fällt doch auf, dass gerade jene, die an der vordersten Front der Sozialpolitik und der Sozialarbeit stehen und deshalb wissen, wovon sie reden, wenn es um Absicherungen gegen Armut geht, vom BGE wenig begeistert sind. So meinte Caritas-Präsident Michael Landau einmal in diplomatischer Deutlichkeit, wichtiger als ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ihm „ein bedingungsloses Grundverständnis, dass wir in Österreich die Armut bekämpfen und nicht armutsbetroffene Menschen."
Bei näherem Hinsehen zeigt sich nämlich, dass die bisher vorliegenden BGE-Konzepte vage bleiben, wenn es um die Frage geht, was denn konkret damit gemeint ist. Werden andere Sozialleistungen ersetzt oder bloß ergänzt, sollen wirklich alle, ohne Prüfung der Bedürftigkeit, damit beglückt werden – und wie sieht es mit der Finanzierbarkeit aus? Experten der Arbeiterkammer haben aufgezeigt, dass das BGE sogar zu einer deutlich größeren Ungleichheit führen würde, statt den sozialen Ausgleich zu verbessern.
Die wohl noch lange angespannte Arbeitsmarktsituation legt jedenfalls nahe, statt des Griffs nach BGE-Sternen mehr sozialpolitische Bodenhaftung an den Tag zu legen. Es muss nämlich jetzt vor allem darum gehen, Armutsgefährdung durch die konsequente Absicherung und, wo erforderlich, sogar den Ausbau des im internationalen Vergleich mehr als herzeigbaren österreichischen Modells einer bedarfsorientierten Mindestsicherung zu bekämpfen. Dazu kommen flexiblere Arbeitszeitkonzepte, neue Aus- und Umbildungsangebote sowie Einstiegschancen in einen dritten Arbeitsmarkt im Sinne eines Rechtes auf ein „Grundeinkommen mit Arbeit“. All diese Themen lohnen die Mühe so streitbarer wie konstruktiver Auseinandersetzungen.
P.S.: Dass es im Kampf gegen drohende soziale Schieflagen in nächster Zeit kontrovers zugehen wird, lässt ein vom Wirtschaftsbund ausgerechnet vor Beginn des EU-Sozialgipfels vorgelegtes Arbeitspapier erwarten. Die darin enthaltenen Forderungen nach stufenweiser Absenkung der Arbeitslosenunterstützung auf unter 40 Prozent des Letztbezuges, zeitlicher Begrenzung der Notstandshilfe und unbegrenzter Arbeitsplatz-Mobilität würden nicht nur die Krise verschärfen. Sie drohen auch die auf sozialpartnerschaftlichen Konsens setzenden Vorhaben des Arbeitsministers zu gefährden, mit dem der unausgegorene Plan ganz offensichtlich nicht abgestimmt war.
12. Mai 2021