Die Unbekümmertheit der internationalen Aufsichtsbehörden im Umgang mit Kryptowährungen verwundert und beunruhigt
„Die Macht des Charlatans“ heißt eine erstmals 1939 erschienene Studie über die Geschichte der Alchimisten und Goldmacher aus der Feder der 1893 in Wien geborenen Greta de Francesco, geborene Weissenstein. Die umfassend gebildete Publizistin stand mit den großen Intellektuellen ihrer Zeit – von Theodor W. Adorno über Walter Benjamin bis zu Ernst Bloch – in freundschaftlicher Verbindung. 1945 wurde sie in Ravensbrück zu einem der Opfer der Judenverfolgung und geriet in Vergessenheit. Nun hat „Die Andere Bibliothek“ ihr Hauptwerk neu aufgelegt und man versteht, warum es seinerzeit, gefördert von dem im kalifornischen Exil lebenden Thomas Mann, in den USA so viel Aufmerksamkeit erhielt.
Die Geschichte der Täuschungen zeigt, dass die Grundmuster der Scharlatanerie, vom Mittelalter über die Renaissance bis ins zwanzigste Jahrhundert, jenen der Gegenwart auf frappierende Weise gleichen. Immer wieder fanden Geld-Illusionisten Aufnahmebereitschaft bei einem alle Bevölkerungsschichten einschließenden Publikum, das sich gerne täuschen lässt. Aktueller Beweis dafür ist der sich in beunruhigendem Tempo ausbreitende Aberglaube an Kryptowährungen aller Art.
Seit der Kurs von „Bitcoin“, dem ersten der auf der „Blockchain“-Technologie beruhenden Zahlungsmittel, innerhalb eines Jahres um beinahe 1000 Prozent in die Höhe geschossen ist, erhärtet sich der Verdacht, dass die Rationalität all der hochtechnisierten Benutzeroberflächen unserer digitalen Geschäftigkeit nur Schein ist. Darunter wuchern Wunschgebilde, die nicht weniger mystisch verschwurbelt sind als jene unserer Vorfahren.
Auch wenn es zuletzt wieder heftige Rückschläge gab, ist der Run auf weitere Spielarten von Kunstgeld ungebrochen. So legte die ursprünglich als bloßer Jux gegründete Spekulationswährung „Dogecoin“ seit Jahresbeginn ganze 8000 Prozent zu. Derartige Bewertungsexzesse inspirieren Nachahmungs-Alchemisten zu weiteren, schwindelerregenden Konstruktionen. Mehrere Tausend Krypto-Assets wetteifern mittlerweile um die Gunst einer wachsenden Schar auch jüngerer AnlegerInnen.
Gegenläufige Fakten – wie der nachweisliche Einsatz von Kunstwährungen für kriminelle Aktivitäten, der mit der Erzeugung der Bitcoins verbundene, extrem hohe Energieverbrauch oder die lähmend langsame Abwicklungsgeschwindigkeit von Zahlungen – ändern daran nichts. Auch die sogenannten Finanzeliten erliegen – zum Teil aus spekulativem Geschäftsinteresse – dem falschen Zauber und erfreuen sich des Feuerwerks an „Finanzinnovationen“.
Die Unbekümmertheit, mit der internationale Aufsichtsbehörden dies alles geschehen lassen, verwundert und beunruhigt. Es hat den Anschein, als stünden sie selbst im Bann der kollektiven Verzauberung durch all die digitalen Irrlichtereien. Das Sensorium für das Gesamtsystem gefährdende Entwicklungen droht – wie das vor der Finanzkrise 2008 bei den so genannten „Verbriefungen“ der Fall war – neuerlich verloren zu gehen. Es wird wohl wieder etwas passieren müssen, bevor etwas geschieht.
29. April 2021