Das Corona-Paket der EU ist mit vielen Fehlern behaftet. Es wird damit zum europapolitischen Risiko.
„Jetzt ist schon wieder was passiert“ Eigentlich war dieser vertraute Anfang aller Brenner-Krimis von Wolf Haas nicht als Einstiegssatz in diese Kolumne vorgesehen. Denn es hätte ursprünglich ein Text werden sollen, der zum 1. April passt. Diese Absicht wurde jedoch vereitelt durch das, was vor wenigen Tagen in Sachen EU-Corona-Hilfspaket passiert ist: In buchstäblich letzter Minute steht das Inkrafttreten des im vergangenen Jahr mühsam erstrittenen europäischen Wiederaufbauplans („Next Generation EU“) in Gesamthöhe von 750 Milliarden Euro in Frage. Unmittelbar nachdem das deutsche Parlament in beiden Kammern mehrheitlich zugestimmt hatte, untersagte nämlich das Karlsruher Verfassungsgericht dem Bundespräsidenten, den Gesetzesakt zu unterschreiben. Kein Aprilscherz!
Ein derartiger „Hängebeschluss“ ist extrem selten. Er kann erst dann aufgehoben werden, wenn das Verfassungsgericht sein Urteil in der Sache gefällt hat. Europapolitisch ist diese unerwartete Hängepartie höchst riskant, ist doch die Aufnahme der gemeinschaftlichen Anleihen und die Auszahlung der vorgesehenen Gelder erst dann möglich, wenn alle 27 Mitgliedsstaaten das Hilfspaket in ihren Parlamenten ratifiziert haben. In 16 davon ist das bereits erledigt – der österreichische Beschluss steht noch bevor. Durch die überraschende Komplikation beim deutschen Nachbarn könnte die Diskussion dazu schwieriger werden als ursprünglich geplant.
Auslöser ist die Verfassungsbeschwerde einer Gruppe um den Ökonomen Bernd Lucke, den früheren Gründer der AfD. Es wird der Sache allerdings nicht gerecht, daraus den verkürzten Schluss zu ziehen, hier hätten eben habituelle Europa-Gegner wieder einmal alles getan, um Sand ins Getriebe der Brüsseler Maschinerie zu streuen. Die Wirklichkeit ist komplexer, gibt es doch durchaus ernsthafte Gründe, das Hilfspaket als fehldimensioniert, konzeptionell unzulänglich und inhaltlich oberflächlich zu kritisieren. Namhafte europafreundliche Ökonomen haben sich dazu ebenso geäußert wie der deutsche Bundesrechnungshof, der in der Grundkonstruktion des EU-Corona-Fonds hohe Risiken sieht.
Es rächt sich eben, dass das Corona-Paket mit heißer Nadel gestrickt wurde und sich nach der Grundsatzeinigung niemand mehr Zeit für lästige Details nehmen wollte. Dabei wäre es gerade aus Sorge um Europa besser gewesen, sorgfältiger zu sein. So aber fehlt eine verbindliche Festlegung auf künftige gesamteuropäische Steuerquellen, aus denen die Gemeinschaftsschulden ab 2027 zurückerstattet werden können. Auch sucht man im Gesamtkonzept vergebens länderübergreifende Infrastrukturprojekte in den Bereichen Verkehr, Digitales und Ökologie. Stattdessen werden bis Ende April unter großem Zeitdruck Vorhaben eingemeldet, von denen die meisten ohnehin aus nationalen Budgets finanziert worden wären.
Nun, da es kein Zurück mehr gibt, ist zu hoffen, dass die deutsche Verfassungshürde dennoch genommen wird und Brüssel in der Folge seine Anstrengungen für eine seriöse Umsetzung von „Next Generation EU“ deutlich erhöht.
01. April 2021