die furche - 313

Damit sein darf, was sein muss

Nur wenn die Zukunft der europäischen Finanzarchitektur neu verhandelt wird, lässt sich eine gefährliche Vertrauenskrise vermeiden.

„Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“ So kurz und bündig beschrieb einst Christian Morgenstern in den Galgenliedern, wie sich Tatsachen mit der Begründung verdrängen lassen, dass es sie von Gesetz wegen eigentlich gar nicht geben dürfte. Wohl nicht zufällig fiel mir diese treffliche Zeile beim Nachdenken darüber ein, wie es wohl nach Corona mit der europäischen Geld- und Fiskalpolitik weitergehen könnte.

Noch gelingt es der Europäischen Zentralbank ja, den forcierten Erwerb von Staatsanleihen als eine Maßnahme darzustellen, welche vor allem dem Ziel dient, die durchschnittliche Inflationsrate im Euroraum auf annähernd zwei Prozent zu steigern und die in Folge der Pandemie eingebrochene Konjunktur zu stützen. In Wirklichkeit dienen diese Zukäufe im Rahmen des Einsatzes eines ganzen Bündels von unkonventionellen Sonderinstrumenten jedoch zuallererst der Sicherstellung des Zusammenhalts der Gemeinschaftswährung. Internationale Gläubiger werden damit in der Überzeugung bestärkt, dass die EZB im Unterschied zur Staatsschuldenkrise 2012 diesmal eben keine Zerreißprobe riskiert. Auch wenn die bisherigen Maßnahmen zwingend notwendig waren: es kann auf Dauer nicht gutgehen, zu verdrängen, dass damit der dem Euro zugrundeliegende Vertrag von Maastricht faktisch umgangen wird – nur weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf.

Eine zweite Verdrängungs-Front baut sich dort auf, wo es um die künftigen Staatsschulden-Spielregeln geht. Denn die Frage, wie und in welchem Umfang die krisenbedingt sprunghaft angestiegenen Schulden eines Tages wieder auf nachhaltig leistbare Niveaus zurückgeführt werden können, wird irgendwann zu beantworten sein, auch wenn der Europäische Rat sinnvollerweise die geltenden Regeln für dieses und das kommende Jahr gerade erst außer Kraft gesetzt hat.

Schon gibt es ja Stimmen, die das 750 Milliarden schwere Corona-Hilfspaket („Next Generation EU“) als Chance auf den Durchbruch zu einer immer schon angepeilten Fiskalunion sehen. Andere lehnen diesen demokratiepolitisch ungedeckten Scheck aus guten Gründen ab. Eine Festlegung auf Einhaltung der spätestens seit dem Covid-Schock für die Mehrzahl der Eurostaaten nicht mehr erfüllbaren inhaltbaren Maastricht-Regeln wäre andererseits nicht weniger problematisch, würde sie doch Wachstum abwürgen statt es zu befördern.

Immer klarer wird, dass realistisch adaptierte Stabilitätsregeln größere Spielräume für Zukunfts- und Infrastrukturinvestitionen vorsehen müssen. Zugleich sollte jedoch außer Streit gestellt werden, dass die Letztverantwortung für die Solidität der Staatshaushalte für die absehbare Zukunft weiterhin bei den Mitgliedsstaaten zu verbleiben hat.

Damit sein darf, was sein muss, braucht Europa nach all den die Gründungsarchitektur der Gemeinschaftswährung erschütternden Krisen eine grundlegend erneuerte Finanz- und Fiskalverfassung. Nur damit lässt sich eine Vertrauenskrise vermeiden, die dann entsteht, wenn man uns zumutbare Wahrheiten weiter vorenthält.

18. März 2021

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