die furche - 312

Weniger Recht haben - mehr Richtiges tun

Der Gefahr ideologischer Pandemien entkommen wir am besten mit einem möglichst nüchternen Blick auf die aktuelle Lage.

Als John Maynard Keynes, der wohl einflussreichste Ökonom des letzten Jahrhunderts, einmal gefragt wurde, warum er einen bestimmten Sachverhalt nun plötzlich anders sähe, antwortete er seinem Vis-a-vis trocken: „Aus einer veränderten Informationslage ziehe ich neue Schlüsse – wäre das bei Ihnen denn anders?“ Dieser Appell, sich an Realitäten statt an ideologischen Fixierungen auszurichten, passt gut zur aktuellen Situation.

Schon bei der Bewältigung der Finanzkrise 2008 war es hilfreich, mit bis kurz davor noch undenkbaren Maßnahmen – von Garantien für Spareinlagen bis zu Hilfspaketen für das als Rückgrat der Realwirtschaft unverzichtbare Bankensystem – dafür zu sorgen, dass sich die Katastrophe der Weltwirtschaftskrise nicht wiederholte. Auch bei der Bekämpfung der darauf folgenden Staatsschuldenkrise lohnte es sich, alte Dogmen zurückzulassen und mit unkonventioneller Notenbank-Politik sowie der Einrichtung des permanenten Rettungsschirms ESM den Zusammenbruch der Euro-Zone zu verhindern.

Die COVID-Krise stellt nun die Bereitschaft, pragmatisch zu handeln, auf einen noch viel härteren Prüfstand. Die dramatischen ökonomischen und sozialen Folgen des nun schon ein Jahr währenden Ausnahmezustands zwingen zu budgetpolitischen Klimmzügen, die alle vorangegangenen fiskalischen Stresssituationen als leichte Fingerübungen erscheinen lassen. Allein für Österreich belaufen sich die ausbezahlten Stützgelder aus dem Bundeshaushalt bis jetzt bereits auf das Vierfache der Kosten der Bankenkrise. Nur gut, dass Österreich wie Deutschland zu jenen Eurostaaten gehört, deren vernünftige Budgetpolitik der Vorjahre es dank des Flankenschutzes durch Nullzinsen ermöglicht, wenigstens die ärgsten wirtschaftlichen und sozialen Folgeschäden abzufangen.

Das erzwungene Durchrasen derart steiler Lernkurven bringt allerdings die Gefahr mit sich, dass man dabei allzu leicht von Schwindel erfasst werden kann. Nach vorne schauen schützt davor besser, als sich umzudrehen und alten ideologischen Denkschleifen nachzuhängen. Nein, womit wir es jetzt zu tun haben, ist eben nicht, wie Stephan Schulmeister in der letzten FURCHE meinte, die Folge des Scheiterns eines uns angeblich seit fünfzig Jahren in den Abgrund führenden „Neoliberalismus“, sondern schlicht das Resultat einer viralen Bedrohung wahrhaft globaler Dimension.

Der Gefahr ideologischer Pandemien entkommen wir am besten mit einem möglichst nüchternen Blick auf die aktuelle Lage. Immerhin leben wir in einer im internationalen Vergleich hoch entwickelten Sozialen Marktwirtschaft mit messbar hoher Lebensqualität. Durch starke Unterstützung von Bildung, Forschung und Kultur ebenso wie mit Rückenwind für unternehmerische Initiativen so bald wie möglich auf Vorkrisen-Niveau zu kommen und zugleich die überfälligen ökologischen Weichenstellungen als Chance zu begreifen: darum sollte es jetzt gehen. Weil es eben weniger wichtig ist, wer Recht hat, als dass das Richtige geschieht.

Oder, wieder in den Worten von Keynes: „The difficulty lies not so much in developing new ideas as in escaping from old ones“.

04. März 2021

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