“Friede durch Angst” ist seit Jahrzehnten der Normalzustand. Horror-Videos, die uns daran erinnern, sind entbehrlich.
„Folgen eines Atombombenabwurfes auf Wien“ nennt sich ein auf Youtube abrufbares, 90 Sekunden langes, nukleares Horror-Video, in dem gewissermaßen amtlich vorgeführt wird, was mit Österreichs Hauptstadt geschähe, würde sie von einer Atombombe mit der Sprengkraft von 100 Kilotonnen getroffen. 230380 Tote wären zu beklagen!
Anlass zur Produktion dieses vom Außenministerium beauftragten Splatter-Movies war das Inkrafttreten des schon im Juli 2017 von 122 Staaten in New York befürworteten Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) am 22.Jänner dieses Jahres, nach Überschreiten der erforderlichen Mindestzahl von fünfzig Unterzeichnerstaaten.
Die Promotoren des von keiner einzigen Atommacht und keinem NATO-Mitgliedsstaat unterzeichneten Vertrages behaupten, man läute damit „den Anfang vom Ende dieser heimtückischen Waffen ein“. Wenn das keine bewusste Irreführung ist, was ich nicht annehmen möchte, handelt es sich jedenfalls um eine beunruhigend realitätsferne Fehleinschätzung dessen, was damit bewirkt werden kann.
Als Reaktion auf verstörte Anfragen, was die angsterregende mediale Veranschaulichung des Undenkbaren eigentlich bezwecken soll, hieß es, man wolle zeigen, „dass die Bilder, die wir aus Hiroshima und Nagasaki kennen, leider nicht der Vergangenheit angehören". Minister Schallenberg, den ich schätze und dessen gute Absicht ich glauben will, fügte ausdrücklich hinzu, es handle sich um „keine spekulative Angstmache, sondern leider eine reale Bedrohung“. Selbst wenn das so wäre: da der gefeierte Vertrag daran nichts ändert, ist es unangebracht, so zu tun, als wäre die Bedrohung dadurch geringer geworden.
Jener „Friede durch Angst“, den Hugo Portisch seinerzeit so eindrücklich beschrieben hat, ist seit Jahrzehnten ein Dauerzustand, mit dem wir zu leben haben. Meiner Generation ist jedenfalls der Handlungsbogen von der Kuba-Krise bis zum umstrittenen, für die friedliche Implosion des damaligen Ostblocks letztlich aber doch entscheidenden „Nachrüstungsbeschluss“ durchaus bewusst.
Wohl nicht zufällig rief mir das deplatzierte Video den düsteren, heute noch unter die Haut gehenden Song „Eve of Destruction“ von Barry McGuire ins Gedächtnis. Die Protest-Single erschien mitten im Kalten – und in Vietnam durchaus „heißen“ – Krieg. In einer der Textzeilen heißt es: „Can´t you feel the fear that I´m feeling today? If the button is pushed, there´s no running away“.
Dennoch gibt es guten Grund zum zwischenzeitlichen Aufatmen. Denn US-Präsident Joe Biden machte die von Donald Trump vorgenommene Kündigung des 2010 abgeschlossenen, die Waffenarsenale der USA und Russlands limitierenden „New-START“-Vertrages gleich in seinen ersten Amtstagen rückgängig. So wie seinerzeit Kennedy einen Draht zu Chruschtschow fand, griff er zum Hörer und einigte sich mit Wladimir Putin auf eine zunächst fünfjährige Verlängerung. Diese tritt am 5. Februar dieses Jahres in Kraft.
Wenn schon kein Anlass zum Feiern, so doch zur Erleichterung. Und ein willkommener Grund, gleich auch das Atom-Video zu shreddern!
04. Februar 2021