Die Vorstellung, dass Notenbanken auf Dauer für die unbegrenzte Finanzierbarkeit steigender Staatsschulden sorgen werden, ist und bleibt eine Illusion.
Der zweite Lockdown führt nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa zu parteilichen Verhärtungen und voreiligen Schuldzuweisungen. Den politischen Rettungskräften werden permanent „Triagen“ zwischen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Zielsetzungen abverlangt. Kaum irgendwo ist unstrittig, wie weit die jeweiligen Einschränkungen gehen sollen oder dürfen.
Anders verhält es sich – von wenigen Ausnahmen wie Finnland einmal abgesehen – meist nur in Staaten, deren Erfolge mit Methoden erzielt werden, die wir aus guten demokratiepolitischen Gründen nicht einsetzen wollen. Die so dringend gefragten einvernehmlichen Strategien wird es deshalb wohl erst geben, wenn wir uns mit einer deutlich verbesserten Streitkultur darum bemühen.
Zusammenraufen müssen sich auch die Staatenlenker(innen) auf globaler Ebene, wenn es um die beiden entscheidenden Fronten des Kampfes gegen die Pandemie geht: einerseits die beim virtuellen G20-Gipfel in Aussicht gestellte Zuteilung von Impfstoffen an armutsgefährdete Staaten, andererseits Schuldennachlässe, Überbrückungskredite und Garantien seitens der Weltbank und des Währungsfonds für diese nun doppelt getroffene Ländergruppe.
Dass in der Weltbank seit Juni dieses Jahres in der Person von Carmen Reinhart eine exzellente, auf die Geschichte von Wirtschaftskrisen spezialisierte Forscherin als Chefökonomin tätig ist, ist ein gutes Vorzeichen dafür, dass diese Vorhaben auch umsetzbar sein sollten. Der Titel ihres gemeinsam mit Kenneth Rogoff verfassten Bestsellers „Diesmal ist alles anders“ spielt darauf an, dass die Vorzeichen von Krisen meist übersehen oder mit dem Standard-Argument geleugnet werden, die jeweils aktuelle Situation wäre mit allen früheren nicht vergleichbar.
In einer solchen krisenhaften Lage – wenn auch aus gänzlich anderen Ursachen als 2008 – befindet sich die Welt nun wieder. Eines der Anzeichen dafür: noch nie brachen Aktienkurse in so kurzer Zeit so stark ein wie im März 2020 und noch nie reagierten die Notenbanken darauf mit so hohen Anleihekäufen und anderen „unkonventionellen“ Maßnahmen, die zur extrem schnellen Erholung der Aktienmärkte entscheidend beitrugen. Neu ist auch die Erwartung, bis in die ferne Zukunft anhaltende Nullzinsen würden die in schwindelerregende Größenordnungen wachsenden Staatsschulden dauerhaft finanzierbar machen und damit die Gesetze der finanzökonomischen Schwerkraft aushebeln. Beides klingt nach einem nicht haltbaren Zustand.
Dennoch gibt es schon erste Experten, die meinen, Corona-bedingte Zusatzschulden müssten letztlich von niemandem mehr real beglichen werden, da sie ja Dank der Notenbanken als Hauptgläubiger endlos prolongiert werden könnten. Das aber hat Carmen Reinhart mit Sicherheit nicht gemeint, als sie kürzlich erst feststellte, dass bei dieser Krise wirklich alles anders sei als bei sämtlichen vorangegangenen.
In nächster Zeit wird es jedenfalls viel darüber zu streiten geben, wie es wohl tatsächlich wird, bevor dann doch alles anders kommt.
26. November 2020