die furche - 296

Die Kunst der Stunde

Auch wenn in Wien gerade Gutscheine für “Helikopter-Schnitzel” verschenkt werden: im großen Maßstab lassen sich die Grundgesetze des Geldwesens nicht aushebeln!

Beim Ausbruch von Krisen, die ganze Sozial- und Wirtschaftssysteme gefährden, sind rasche, lebensrettende Eingriffe gefragt. Was aber tun, wenn das Krankheitsbild neu ist und Vorerfahrungen fehlen? Dann kann – das hat die Finanzkrise 2008 schmerzlich gezeigt – die Lernkurve lange und teuer werden.

Zwar leisteten die Notenbanken damals wirksam Erste Hilfe, indem sie rasch für Liquidität sorgten und die Zinsen senkten. Als aber dann die Staatsschulden quer durch Europa massiv anstiegen und die immer weiter auseinanderklaffenden Anleihekosten der Schuldnerstaaten den Zusammenhalt der Eurozone gefährdeten, dauerte es quälend lange, bis man sich endlich zur Jahresmitte 2012 auf taugliche Instrumente einigen konnte. Die EZB festigt seither durch ihre Anleihekäufe das Gläubigervertrauen in Euro-Anleihen selbst hoch verschuldeter Eurostaaten. Parallel dazu steht der permanente Schutzschirm ESM all jenen Ländern mit Überbrückungsfinanzierungen bei, die vorübergehend in budgetäre Schieflage geraten.

Der zeitlich verzögerte Einsatz all dieser Maßnahmen erwies sich als kostspielig. Noch heute sind etwa die Budgets Italiens und Spaniens mit den überhöhten Zinskosten von damals belastet.

Nur gut, dass Regierungen und Notenbanken daraus gelernt und nach Ausbruch der Corona-Pandemie deutlich schneller gehandelt haben. Schon Mitte März erhöhte die EZB die Ankaufsvolumina für Staatsanleihen und ersparte uns damit ein neuerliches Aufflackern der Staatsschuldenkrise. Zugleich schnürten die Regierungen umfassende Rettungspakete, von Kurzarbeitshilfen über Garantien und Steuerstundungen bis zu Direktzuschüssen. Noch offen und durchaus zu Recht umstritten ist nun die Art und Weise, in der die Europäische Union mit gemeinschaftlich aufgebrachten Geldern helfen soll.

Die insgesamt auf allen politischen Ebenen in Aussicht genommenen Summen sind schwindelerregend und lassen den irreführenden Eindruck entstehen, das Geld wäre abgeschafft. Fantasien von ewig laufenden Anleihen machen die Runde. Auch wird mancherorts ernsthaft über „Helikoptergeld“ zur Ankurbelung des Konsums diskutiert. Aber derartige Direktverteilungen von Geldbeträgen an alle Bürger durch die Notenbank sind so wenig realistisch wie die Behauptung, Budgetverschuldung ließe sich bei Nahezu-Null-Zinsen beliebig steigern.

Auch wenn die Stadt Wien mit Gutscheinen für „Helikopterschnitzeln“ im Vorfeld der Gemeinderatswahlen Appetit auf mehr macht – im großen Maßstab lassen sich die Grundgesetze des Geldwesens nicht einfach aushebeln. Niedrigzinsen bleiben das nämlich nur so lange, wie die Gläubiger von der Rückzahlungsfähigkeit der Schuldner überzeugt sind. Denn alles Geliehene muss am Ende eben doch zurückgezahlt oder zumindest refinanziert werden.

Die Kunst der Stunde liegt darin, das richtige Maß zwischen notwendigen Anreizen und der Vermeidung einer langfristigen Schuldenfalle zu finden. Denn es ist keinesfalls ausgemacht, dass alles Wünschenswerte („Whatever it takes“) auch leistbar ist.

09. Juli 2020

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