Corona wird zum Prüfstein des Zusammenhalts der EU. Beim Ringen um die richtigen Lösungen müssen auch kleinere Staaten gehört werden.
Aus der Not eine Tugend zu machen, gehört zu den menschlichen Eigenschaften, die uns durch die Evolution getragen haben. Deshalb sollten wir die zuletzt krisenbedingt erhöhte Verschuldungsbereitschaft in den Staatshaushalten sinnvollerweise gleich auch für das Erreichen der Klimaziele nutzen. Die notwendigen Mittel für Forschung, ökologische Projekte und nachhaltige Infrastruktur sind nun – „Koste es, was es wolle“ – jedenfalls deutlich schneller mobilisierbar, als das noch vor einem Jahr denkbar gewesen wäre.
Daraus abzuleiten, dass der Corona-Schock eine „einzigartige Chance“ wäre, wie das zuletzt sogar der sonst so weltkluge Philipp Blom behauptet, ist allerdings wirklichkeitsfremd. Die wirtschaftlichen Folgeschäden samt der Existenzgefährdung von Millionen Mitmenschen sind nämlich so massiv, dass die Weltenrettung dadurch insgesamt wohl eher aufgeschoben als beschleunigt wird.
Auch konnte sich niemand wünschen, dass sich Corona zu einer EU-Bewährungsprobe ungeahnter Dimension auswächst. Wegen grundsätzlicher Uneinigkeit über die richtigen Rettungsmaßnahmen brechen nämlich derzeit gleich mehrere Konfliktherde gleichzeitig auf. Gerade erst stellte der deutsche Verfassungsgerichtshof mit seinen Einwendungen gegen die für den Zusammenhalt des Euro unverzichtbaren, seit kurzem faktisch unlimitierten Anleihen-Käufe durch die Europäische Zentralbank zur absoluten Unzeit die bisherige Geldpolitik in Frage. Dazu kommt nun die fiskalpolitisch höchst heikle Auseinandersetzung über den von Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron vorgeschlagenen Nothilfe-Fonds.
Unabhängig vom künftigen, siebenjährigen EU-Budgetrahmen, um den schon seit längerem gerungen wird, sollen dafür „on top“ mehr als 500 Milliarden Euro von der EU selbst auf den Kapitalmärkten aufgenommen und für Projekte in den meistgeschädigten Euroländern in Form von Zuschüssen ausgegeben werden. Die Rückzahlung dieser Anleihen – sie werden bereits als „Eurobonds durch die Hintertür“ bezeichnet – soll nach zehn Jahren nicht aus dem gemeinsamen EU-Budget, sondern aus Direktzuschüssen der Mitgliedsstaaten erfolgen.
Das in den EU-Verträgen verankerte Verschuldungsverbot würde damit ausgehebelt. Dagegen melden sich die Niederlande mit Schweden, Dänemark und Österreich als Club der kleineren Nettozahler-Staaten mit bedenkenswerten Einwänden zu Wort. In ihrem ersten Gegenvorschlag beharren sie auf der Rückzahlung rasch zu gewährender Hilfskredite, lassen aber die Türe für Kompromisse offen.
Unabhängig davon gäbe es bedenkenswerte Alternativen – von einer deutlichen Aufstockung des permanenten Rettungsschirms (ESM) bis hin zu einer in Zeiten von Nullzinsen ohnehin längst fälligen Überarbeitung der aus den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stammenden „Maastricht-Kriterien“ angemessener Grenzen der Staatsverschuldung. Man sollte sie demokratisch und offen besprechen, statt vorschnell jene als „unsolidarisch“ zu desavouieren, die sich um alternative, verfassungskonforme Lösungen bemühen.
28. Mai 2020