Wir müssen sobald wie möglich Wege zur bedachtsamen Lockerung der Wirtschaftsquarantäne finden.
Mitten in diesem Leben im falschen Film begegnen uns die merkwürdigsten Erklärungen des so beklemmenden coronarischen Ausnahmezustands. Die einen wollen uns weismachen, diese Krise sei, wenn schon kein Geschenk des Himmels, so doch eine Chance zur Weltverbesserung, auf die wir eigentlich längst gewartet hätten. Andere sehen im räselhaften Virus gar einen Beweis für Marktversagen und werfen – wie Hexenverbrenner nach der großen Pest – gleich auch die böse Globalisierung mit auf den Scheiterhaufen.
Wie gut, dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung als realitätssinnig und resistent gegenüber alleinseligmachenden Wahrheiten erweist. Denn natürlich werden wir steile Lernkurven fahren müssen, wenn es um die Wiederherstellung des früheren Zustandes geht und hoffentlich gleich auch weittragende ökologische Schlüsse aus dieser Krise ziehen. Zunächst aber geht es darum, den Flächenbrand einzudämmen und dabei nicht allzu dramatische Löschschäden zu riskieren.
Schon deshalb müssen nun verantwortbare Wege der bedachtsamen Lockerung gefunden werden, wie das soeben für die Bauwirtschaft gelungen ist. Ähnliches sollte – mit Maskenpflicht und unter strikten Distanzauflagen – auch im Handel und in der Gastronomie möglich werden. Denn schon jetzt ist absehbar, dass die existenzbedrohenden Folgen des gleichzeitigen Einbruchs von Angebot und Nachfrage drastisch höher sein werden als jene der Finanzkrise von 2008.
Bezeichnend dafür ist, dass die Europäische Bankenaufsicht vor wenigen Tagen still und leise ihren diesjährigen „Stresstest“, mit dem die Krisenfestigkeit der Großbanken gemessen werden sollte, abgebrochen und auf 2021 verschoben hat. Das Ziel des Kontrollmanövers hätte darin bestanden, die Auswirkungen eines Wachstumseinbruchs von insgesamt 4,2 Prozent bis 2022 auf das Bankensystem auszutesten. Da jedoch der Schaden aus dem Corona-bedingten Nachfrageeinbruch schon jetzt weitaus höher liegt als in dieser Drohkulisse für ganze drei Jahre angenommen, wäre eine Fortsetzung der aufwendigen Schreibtischübung wohl sinnlos gewesen.
Erfreulicherweise wurden auf anderen europäischen Ebenen erstaunlich rasch Entscheidungen getroffen, die noch vor einem Monat undenkbar erschienen wären. So hat etwa die Europäische Zentralbank EZB mittlerweile die Herz-Lungen-Maschine angeworfen und in einem Corona-Notprogramm entschieden, Anleihen von Euro-Mitgliedsländern in großen Volumina auch dann anzukaufen, wenn sie mehr als ein Drittel der Staatsschulden ausmachen. Diese Lockerung der bisherigen Spielregeln ist vor allem für Italien und Spanien von größter Bedeutung. In Verbindung mit geplanten Corona-Sonderfinanzierungen durch den permanenten Schutzschirm ESM kommt sie in der faktischen Wirkung jener solidarischen Finanzierungsform gleich, wie sie mit den so genannten „Corona-Bonds“ angestrebt wird.
Die Suche nach dem Notausgang aus dem pandemischen Emergency-Room muss weitergehen. Sie wird dann besser gelingen, wenn sie sich weiterhin mehr an gesundheits- und wirtschaftspolitischen Fakten als an Fiktionen orientiert.
02. April 2020