Der vorherrschende Akademisierungs-zwang führt in die bildungspolitische Sackgasse. Deshalb brauchen wir einen Bildungsbegriff, der Meisterschaft mit einschließt.
Etwas, das „meisterlich“ gelingt, wird hoch geschätzt. Die Meisterinnen und Meister selbst hingegen genießen weit weniger gesellschaftliche Wertschätzung. In die Lehre statt in die Oberstufe eines Gymnasiums zu gehen, wird nicht selten als zweit-, ja drittbeste Alternative für jene angesehen, die es eben nicht in die „höhere“ Bildung schaffen. Schon deshalb ist der kräftige „duale“ Akzent im Bildungskapitel des türkis-grünen Regierungsprogramms zu begrüßen. Denn eine stärkere Verschränkung von Bildung und Berufsausbildung ist so überfällig wie die wechselseitige Durchlässigkeit der jeweiligen formalen (Aus-)Bildungswege.
Dass der Meister/innen-Titel künftig – wie ein akademischer Titel auch – dem Eigennamen vorangestellt werden kann, ist mehr als Zierrat. Denn schon heute steht eine erfolgreich absolvierte Meisterprüfung gemäß dem auf europaweiten Vergleichs-Einstufungen beruhenden „nationalen Qualifikationsrahmen“ auf derselben Stufe wie „Bachelor“ und „Ingenieur“. Auch die regelmäßige Anpassung der Ausbildungspläne an neue Erfordernisse – von der Digitalisierung bis hin zu fachspezifischen technischen Innovationen – macht Sinn. Das Forcieren „post-sekundärer“, an die Matura anschließender Berufsausbildung ebenso.
All diese Maßnahmen können allerdings nur erste Schritte zur Lösung des von der Bildungspolitik hartnäckig verdrängten Problems einer manifesten „Über-Akademisierung“ sein. Symptomatisch dafür ist der merkwürdige Kontrast zwischen einer weit verbreiteten sozialen Geringschätzung berufsorientierten Lernens einerseits und einer schleichenden Entwertung von als höherwertig angesehenen Bildungsabschlüssen.
Galt noch vor etwa zwei Jahrzehnten die bestandene Matura nicht nur als Eintrittskarte für ein Universitätsstudium, sondern auch als Befähigungsnachweis für qualifizierte Tätigkeiten in Wirtschaft und Verwaltung, kann davon heute keine Rede mehr sein. Erst der Nachweis (irgend-)eines akademischen Grades reicht hin, um jenes gesellschaftlich geforderte Mindestmaß an höherer Bildung nachzuweisen, das von vermeintlich niedrigerer „handwerklicher“ Tätigkeit befreit. Eine Matura reicht dafür nicht mehr aus. Sie garantiert nicht einmal mehr den freien Universitätszugang. Bezeichnend für diesen gesunkenen Stellenwert der mit so viel Fleiß und Mühe erworbenen Reife ist die Tatsache, dass eine AHS-Matura im erwähnten Qualifikationsrahmen nur auf der vierten von insgesamt acht Stufen aufscheint – zwei Stufen unter Bachelor und Meister.
Der vorherrschende Akademisierungszwang führt angesichts eines bis heute bestehenden Mangels an vielfältigeren berufsbezogenen Bildungschancen vielfach in die Sackgasse sinnentleerter pro-forma-Abschlüsse. Im Gegenzug betätigen sich immer mehr „Studienabbrecher“, die das Bedürfnis haben, Gelerntes umzusetzen und Neues auszuprobieren, als pragmatische Einsteiger in innovative „Start-ups“. Gefragt ist ganz offensichtlich ein Brückenbau zwischen den künstlich getrennten Welten des Wissens und Könnens.
06. Februar 2020