NGO’s sind nicht nur ein Korrektiv zur Lobbymacht von Großunternehmen. Sie tragen auch Mitverantwortung für den Wandel unseres Wirtschaftssystems.
Joe Kaeser, Vorsitzender des Vorstandes von Siemens, verantwortet einen Jahresumsatz von nahezu 90 Milliarden Euro. Entscheidungen über komplexe Probleme und hohe Risiken gehören in seiner Funktion zur Routine. Er gilt als unkonventioneller Mahner gegen einen die Gesellschaft spaltenden „Kasinokapitalismus“ und orientiert sich damit an einem berühmt gewordenen Leitsatz des Firmengründers Werner von Siemens: „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“.
Dennoch geriet der weltgewandte Top-Manager jüngst unter massiven Druck, als deutsche Klimaschützer gegen die Lieferung von Signaltechnik für Züge protestierten, die in Australien für Kohletransporte eingesetzt werden. Kaeser lehnte eine Aufkündigung des bereits abgeschlossenen Vertrages ab, sicherte jedoch zu, in Zukunft konsequent für mehr Öko-Sensibilität zu sorgen. Sein Aufsehen erregendes Beschwichtigungsangebot, Aufsichtsrätin von Siemens zu werden, lehnte Luisa Neubauer, die 23-jährige Sprecherin der deutschen Friday-for-Future-Bewegung, nach kurzer Bedenkzeit ab.
Dass die Auseinandersetzung über den künftigen Umgang von Konzernen mit der Klimakrise damit wenige Tage vor Beginn des Welt-Wirtschaftsforums in Davos eine neue Dimension erreicht hat, ist Wasser auf die Mühlen von Klaus Schwab. Denn der Begründer dieser wohl gewichtigsten Welt-Konferenz sieht sich als Vorkämpfer einer Wirtschaftsordnung, in der Konzerne nicht nur Gewinnziele verfolgen, sondern auch zu sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit beitragen.
Greta Thunberg ist bei der fünfzigsten Davoser Tagung zum zweiten Mal dabei. Schon im vergangenen Jahr sorgte sie mit ihrer um die Welt gehenden Mahnrede am Rande der Konferenz („Our house is on fire – I want You to act“) für Aufsehen. Heuer ist sie ganz offiziell eingeladen. Das Kräfteparallelogramm, in dem globale wirtschaftspolitische Strategien entstehen, wird damit unwiderruflich erweitert. Neben den Lobby-starken Konzernen stellen nun auch die NGO´s eine für alle Zukunft nicht mehr ausgrenzbare Einflussmacht dar. Als Anwälte globaler Anliegen, die im repräsentativ-demokratischen Parteiengefüge von Nationalstaaten meist zu kurz kommen, waren sie schon bisher gewichtige Gesprächspartner internationaler Organisationen.
Für die Realverfassung einer oft einseitig durch Lobbyinteressen gesteuerten Politik stellt diese Erweiterung der Einflussmacht von NGO´s ein wichtiges Korrektiv dar. Sie kommen damit allerdings zugleich in eine erweiterte Mit-Verantwortung im konzertierten Zusammenspiel von Wirtschaft und Umwelt. Denn Wunsch und Wirklichkeit müssen so auf eine operativ umsetzbare Reform-Zeitachse gebracht werden, dass der notwendige Wandel industriell und arbeitsmarktpolitisch verkraftbar bleibt – zugleich jedoch schnell genug von statten geht, um eine Klimakatastrophe abzuwenden.
Miteinander darüber im Gespräch zu sein, ist die erste und unabdingbare Voraussetzung dafür. Miteinander zu regieren, ist der nächste Schritt. Österreich traut sich.
23. Jänner 2020