Die Furche - 282

Sorgen für den Neubeginn

Europa kann nur dann als Verbund von Wohlfahrtsstaaten mit hoher Lebensqualität bestehen, wenn es in der Umweltfrage eine Vorreiterrolle einnimmt.

„Es geht nirgends so zu wie auf der Welt!“ meinte einst Johann Nestroy. Um wieviel stärker empfinden wir das heute inmitten der permanenten Überflutung mit Welt-Nachrichten über globale politische Fragestellungen, deren Komplexität uns zu überfordern droht! Da kann nicht verwundern, dass es im Zustand gefühlter Machtlosigkeit mitunter zu verkürzten Schlüssen über die richtigen Prioritäten und zu übereilten Schuldzuweisungen kommt. An kaum einer Frage wird das so deutlich wie beim Kampf gegen die Erderwärmung.

Dass die Klimakonferenz in Madrid ergebnislos geendet hat, liegt eben nicht nur an der skandalösen Ignoranz der politischen Führer wichtiger Teilnehmerstaaten wie der USA, Brasiliens oder Saudi-Arabiens. Ein tiefer liegendes, ursächliches Problem stellen die meist verdrängten, fundamentalen umweltpolitischen Zielkonflikte dar, die sich nicht so einfach in Ja/Nein-Entscheidungen auflösen lassen. Beispielhaft dafür steht die Europa spaltende Frage, ob man der modernen Atomenergie zutrauen darf, klimaschonend Kohle und Erdöl zu ersetzen. Auch der richtige Umgang mit den CO2-Emissionsrechten gehört in diese Kategorie.

Gerade das unrühmliche Scheitern der Großtagung hat jedoch endgültig klar gemacht, dass bloßes Warten auf eine globale Einigung in Klimafragen keine Option mehr sein darf. Der kurz davor beschlossene, ambitionierte europäische „Green Deal“ Ursula Von der Leyens wird im Gegenteil nun umso wichtiger. Ja, es stimmt, dass die Welt am europäischen Wesen nicht genesen wird. Aber es ist genauso richtig, dass Europa nur dann als Verbund von Wohlfahrtsstaaten mit hoher Lebensqualität überleben kann, wenn es in dieser Frage eine Vorreiterrolle einnimmt.

Die erforderlichen Anstrengungen mit jenen zu vergleichen, die seinerzeit für die erste Mondlandung aufgewendet wurden, ist eine weniger weit hergeholte Analogie, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn nur planvolle, großzügig geförderte Innovationen, die dafür sorgen, dass grüne Energie attraktiver wird als fossile Brennstoffe, können den Klimawandel einbremsen und zugleich Ersatz für Arbeitsplätze schaffen, die in der traditionellen Industrie verloren gehen werden.

Aber vor dem Ende dieses ereignisreichen Jahres und dem Beginn eines neuen Jahrzehnts sollten all die belastenden, kurzfristig nicht lösbaren politischen Sorgenthemen in den Hintergrund treten dürfen. Ohne Zeiten des Innehaltens, die wir uns und unseren Lieben zugestehen, würde sonst die Ereignisdichte, mit der wir uns tagtäglich konfrontiert sehen, das Unterscheidungsvermögen zwischen dem, was für die Welt und die Allgemeinheit wichtig erscheint und dem, was uns persönlich am Herzen liegt, dauerhaft beeinträchtigen. Auf uns wartet das Fest des Neubeginns. Es ermöglicht immer von Neuem, die Hoffnung darauf zu bewahren, dass am Ende menschliches Zusammenwirken und Vernunft obsiegen. Ich kenne kein „Narrativ“, das beständiger wäre und mehr Menschen hinter sich zu versammeln vermag!

Ich wünsche Ihnen Frohe Weihnachten und Alles Gute für 2020!

19. Dezember 2020

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