die furche - 281

EU-Parlament im Entscheidungsnotstand

Die Einigung auf einen plausiblen EU-Finanzrahmen für die kommenden Jahre wird schwierig. Das EU-Parlament könnte durch den Verzicht auf einen seiner beiden Tagungsorte einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Der Zeitpunkt, zu dem das EU-Parlament in der vergangenen Woche den „Klimanotstand“ ausgerufen hat, war dramaturgisch perfekt gewählt: zu Beginn der Amtszeit der auf einen „Green Deal“ setzenden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und wenige Tage vor Eröffnung der von Santiago nach Madrid verlegten UN-Klimakonferenz. 

Inhaltlich lässt sich allerdings darüber streiten, ob die Wortwahl – bei aller objektiv gegebenen Dringlichkeit – auch wirklich passt. Sie könnte nämlich auch als Eingeständnis eines Entscheidungs-Notstands von mit der Lösung der Umweltfrage schlicht überforderten Volksvertretern verstanden werden. Und weil ein „Notstand“ nun einmal nach sofortigen Sondermaßnahmen verlangt, könnten sich Klimaaktivisten zur Abkürzung allzu zeitraubender, demokratischer Prozeduren der Entscheidungsfindung ermuntert sehen. 

Vielleicht war es aber auch nur der Versuch, wenigstens deklamatorisch Handlungsfähigkeit zu zeigen, wo es doch in so vielen anderen Problemfeldern schwer fällt, herzeigbare Fortschritte zu erzielen. Allein die wirtschaftspolitischen Beispiele dafür reichen vom Scheitern des Zustandekommens einer Finanztransaktionssteuer bis zu der in der vergangenen Woche auch von der österreichischen Interims-Regierung abgelehnten Steuertransparenz großer Unternehmen.

Eine nächste Nagelprobe des europäischen Zusammenhalts naht mit den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der Jahre 2021 bis 2027, die in die Zuständigkeit von Haushaltskommissar Johannes Hahn fallen. Die österreichische Ausgangsposition dazu lautet im Einklang mit anderen Nettozahler-Ländern wie Schweden, den Niederlanden oder Dänemark, dass es auch künftighin bei einem Beitrag in Höhe von 1 Prozent des Bruttosozialprodukts bleiben soll. Entlang der Linie seines Vorgängers Hartmut Löger besteht auch Finanzminister Eduard Müller zumindest vorläufig auf dieser Obergrenze. 

Dass mit England nach dem Brexit künftig der bisher zweitgrößte Nettozahler-Staat ausfallen wird, kommentiert er ungerührt mit der Bemerkung, eine kleinere EU müsse künftig eben mit einem kleineren Budget auskommen. Die innere Unlogik dieser Feststellung kann ihm nicht entgangen sein, sodass es sich wohl zunächst um eine verhandlungstaktische Wortwahl handelt. Da in Hinkunft auch noch das neu eingeführte Eurozonen-Budget bezahlbar sein soll, könnte eine spätere Einigungslinie bei jenen 1,1 Prozent liegen, die Kommissar Hahn vorschweben.

Das EU-Parlament will mit 1,3 Prozent noch höher hinaus, notfalls mit Hilfe neuer EU-weiter Eigensteuern. Bei konsequenter Umsetzung des im Zuge der Klimadebatte überraschenderweise gebilligten Vorschlags, die so mühsame wie kostspielige Zweigleisigkeit der Sitzungsstandorte in Straßburg und Brüssel aufzugeben, würde es dazu sogar eine durchaus beachtliche, jährliche Ersparnis von 110 Millionen Euro beisteuern. 

Dieser mögliche Kollateral-Nutzen der Abstimmung über den „Klimanotstand“ lässt mich mit der problematischen Wortwahl jedenfalls besser leben.

05. Dezember 2019

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