Die Notenbankpolitik muss sich von alten Dogmen lösen, wenn sie nicht “draghisch” enden soll.
Notenbanker sind Symbolfiguren des Vertrauens in die Währung, für die sie Verantwortung tragen. Sie wählen daher ihre Worte besonders sorgfältig, stets darauf bedacht, nur ja keine Missverständnisse auszulösen. Wenn sie dann doch einmal deutlicher werden, geschieht dies als Teil einer Strategie zur Konjunkturbelebung durch Beeinflussung der Markt-Meinung. Denn nach diesem Stimmungsbarometer richten sich Preisbewegungen auf den Finanzmärkten ebenso wie Kaufentscheidungen von Unternehmen und privaten Haushalten.
Eines der prominentesten Beispiele für derartige Wort-Deutlichkeit ist jene Tischrede, die der in wenigen Tagen aus seinem Amt scheidende EZB-Präsident Mario Draghi im Sommer 2012 in London hielt. Mitten im aufziehenden Sturm einer manifesten Euro-Vertrauenskrise machte er damals unmissverständlich klar, alles Erforderliche („Whatever it takes“) zu tun, um den Zerfall des Euro zu verhindern. Unterlegt war dieses Versprechen nicht nur mit einem Maßnahmenpaket der EZB sondern auch mit massivem Flankenschutz seitens der Politik, die praktisch zeitgleich den permanenten Rettungsschirms („ESM“) einrichtete. Unmittelbar nach der Draghi-Rede beruhigten sich die Euro-Anleihenmärkte nachhaltig.
Dieser beeindruckende Erfolg wird allerdings durch Draghis Aktionen in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit gefährdet. Denn die kurz gestoppten und jüngst wieder aufgenommenen Anleihekäufe dienten zuletzt kaum mehr der Unterstützung der Konjunktur, sondern vor allem dem uneingestandenen Zweck der Entlastung der Euro-Staatshaushalte. Gleiches gilt für die allzu lange aufrecht erhaltenen Nullzinsen, die eine Menge unerwünschter Nebenwirkungen entfalten. Die Euroländer sparen sich damit nicht nur Zinskosten – eine für den Steuerzahler prinzipiell gute Nachricht – sondern auch ernsthafte Bemühungen um nachhaltig solide Finanzen.
Zuletzt löste bei den durch die Nullzinsen ohnehin frustrierten Sparern berechtigte Verärgerung aus, dass die erfreulich niedrigen Inflationsraten – in Österreich aktuell bei 1,2 Prozent – von der EZB als ungenügend dargestellt werden. Erst wenn Werte von annähernd 2 Prozent erreicht seien, könne man die Zinsschraube wieder nach oben drehen.
Vor diesem Hintergrund unterzeichnete zu Anfang des Monats Klaus Liebscher ein höchst kritisches Memorandum ehemaliger Notenbanker gegen die derzeitige EZB-Politik. Seine Unterschrift kann dem stets auf Diskretion bedachten langjährigen Gouverneur der Österreichischen Nationalbank nicht leicht gefallen sein. Umso nachdenklicher machen die Argumente des im Internet abrufbaren Manifestes. Es besagt schlicht, dass die prolongierte Nullzinsenpolitik und die exzessiven Anleihekäufe ihren vorgeblichen Hauptzweck verfehlen und den künftigen Handlungsspielraum der Notenbank unnötig einengen.
Zu hoffen bleibt, dass die neue EZB-Chefin Christine Lagarde den machtlosen Geld-Weisen Gehör schenkt und das überkommene geldpolitische Dogmengebäude wieder auf glaubwürdigere Fundamente stellt. Alles andere wäre „draghisch“!
24. Oktober 2019