die furche - 273

Europa muss zurück aufs Spielfdeld

Das Machtvakuum bis zur Bildung der neuen Kommission ist im brisanten Umfeld des Brexit und eines globalen Handelskonflikts höchst brisant. Umso besser sollte Europa auf das nächste Match am globalen Spielfeld vorbereitet sein.

Was für eine unglückliche Fügung: Inmitten sich aufschaukelnder Handels- und Währungskonflikte zwischen den USA und China ist Europa faktisch handlungsunfähig. Der langwierige Komplettaustausch aller Entscheidungsträger nach der Europawahl verbannt uns bis mindestens Ende Oktober auf die Reservebank der Weltpolitik. Was in normalen Zeiten kaum aufgefallen wäre, wird nun zum Glaubwürdigkeits-Problem. Fatalerweise verfestigt sich nämlich der Anschein, dass die Geschichte auch ohne die Mitwirkung von Europas Repräsentanten weitergeschrieben wird.

Getoppt wird dieser Eindruck noch durch die Brexit-Krise. Als sich die Abgeordneten der englischen Austrittspartei am Tag ihrer Angelobung im EU-Parlament beim Erklingen der Europa-Hymne demonstrativ wegdrehten, lieferten sie einen traurigen Beweis für den Grad an Absurdität, den ihr so hitzig verfolgtes Vorhaben mittlerweile erreicht hat. Über den Ausgang dieses zuletzt von ihm in Eigenregie übernommenen Sommertheaters verrät der neue Premier Boris Johnson nur so viel: am 31. Oktober sollen – mit oder ohne Deal – die Zugbrücken hochgehen. Ein englischer Freund und Brexit-Gegner meinte kürzlich sarkastisch, wohl nicht zufällig werde dies der Abend von Halloween sein.

Der Ton, den Johnson dabei – wenn auch meist geistreicher – anstimmt, kopiert das Rollen-Modell des amerikanischen Präsidenten. Dieser macht bekanntlich aus seiner Verachtung gegenüber gemeinschaftlichen Zielsetzungen und übergeordneten Wertvorstellungen kein Hehl. Auf seinen Streifzügen durch den diplomatischen Porzellanladen bereitet es ihm offensichtliches Vergnügen, auf vielen der mühsam errungenen Kostbarkeiten des Multilateralismus herum zu trampeln – vom Boykott des Pariser Klimaabkommen bis zur Aufhebung des vor dreißig Jahren zustande gekommenen Atomwaffensperrvertrages.

Europa kommt in seinen Überlegungen offensichtlich nur dann vor, wenn es um die Androhung von Sanktionen bei unbotmäßigem Verhalten geht: so werden Europas Unternehmen gezwungen, sich dem Iran-Boykott zu unterwerfen, der Bau der Erdgasleitung Nordstream wird um jeden Preis verhindert, und wenn Brüssel ernsthaft über eine längst fällige Digitalsteuer nachdenkt, folgt prompt die über Twitter verkündete Drohung, künftig 25%ige Einfuhrzölle auf europäische Autos einzuheben. 

Neuerdings produziert sich Trump auch noch als Schiedsrichter über währungspolitisches Wohlverhalten. Seit der chinesische Yuan auf die durch die US-Zölle ausgelöste Exportschwächung mit einer – im Grunde geringfügigen – Abwertung reagiert, bezichtigt er China der „Währungsmanipulation“ und droht mit einer noch größeren Zollkeule.

In diesem Umfeld wachsender Konfrontation und sich eintrübender Konjunktur wäre europäischer Zusammenhalt gefragter denn je. Dass er derzeit nicht gelebt werden kann, macht die politische Zwangspause so risikoreich. Sie sollte deshalb kurz gehalten und konsequent zur bestmöglichen Vorbereitung auf das nächste Match am globalen Spielfeld genutzt werden.

14. August 2019

download