Die Furche - 259

Venezuela am Wendepunkt

Die lässige Lauheit, mit der viele Medien das Kräftemessen in Venezuela kommentieren, kann nicht genügen. Der Mut der demokratischen Opposition verdient volle Unterstützung.

Wenn von Venezuela die Rede war, fiel uns dazu viele Jahre hindurch vor allem „El Sistema“ ein, jenes Netzwerk von Chören und Jugendorchestern, mit dessen Hilfe viele tausend Kinder aus der (Bildungs-)Armut herausgeführt werden konnten. Die besten von ihnen fanden begeisterte Zuhörer in allen wichtigen Konzertsälen der Welt. Unter ihrem Stardirigenten Gustavo Dudamel waren sie auch in Österreich oft zu Gast.

Einst zählte das Land mit den größten Ölreserven der Welt zu den Vorzeigestaaten Mittelamerikas. Seit jedoch Hugo Chavez vor zwei Jahrzehnten an die Macht kam und mit Unterstützung Kubas seinen „Sozialismus für das 21. Jahrhundert“ vorantrieb, ging es nach anfänglichen sozialen Erfolgen wirtschaftlich und demokratiepolitisch steil bergab. Chavez´ Nachfolger Nicolas Maduro etablierte ab 2013 ein immer unverhohlener autoritäres Regime und stürzte sein Land in bittere Armut. Drastische Geldentwertung, ökonomischer Zusammenbruch und politische Unfreiheit lösten eine dramatische Fluchtbewegung aus. Schon über drei Millionen venezolanische Bürger haben ihre Heimat verlassen. Der früher so positiv besetzte Begriff „El Sistema“ steht mit einem mal für ein System von Angst und Misswirtschaft.

Im August vergangenen Jahres prolongierten manipulierte Präsidentenwahlen die Herrschaft des Diktators. Das Parlament hingegen steht – als letzte noch verbliebene demokratische Struktur – im mehrheitlichen Einfluss einer systemkritischen Opposition. Deren couragierte Abgeordnete gehen das durchaus existenzbedrohende Wagnis ein, endlich einen Regimewechsel einzufordern. Oppositionsführer Juan Guaidó erklärte sich trotz größter Bedrängnis durch das noch überwiegend Maduro-loyale Militär zum Übergangspräsidenten. Die venezolanische Verfassung sieht diese Rolle sogar ausdrücklich für Sondersituationen vor, in denen es – wie eben jetzt – keinen rechtmäßigen Präsidenten gibt.

Guaidó findet in Europa für seine Forderung nach Präsidentenwahlen Zustimmung unter anderem seitens Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Bundeskanzler Kurz schloss sich nach anfänglicher Unsicherheit ebenfalls an. Sinister wirkt hingegen die Allianz jener Staaten, welche Maduro weiterhin an der Macht halten, obwohl seine Schergen immer brutaler gegen Oppositionelle vorgehen: An vorderster Stelle tut sich neben Kuba Russland als Schutzmacht hervor, das in den vergangenen Jahren viel Geld und Waffen zur Stützung des autoritären Regimes eingesetzt hat, dazu der Iran und – ausgerechnet – die Türkei.

Das Grundübel dysfunktionaler Staatengebilde – egal ob linker oder rechter Provenienz – sind Korruption, Unterdrückung von Meinungsfreiheit und dilettantischer Umgang mit den Grundvoraussetzungen erfolgreichen Wirtschaftens. Wer solche Zustände mit demokratischen Mitteln verändern will, verdient jedenfalls mehr moralische Unterstützung als jene lässige Lauheit, mit der bisher die Mehrzahl der westlichen Medien das Kräftemessen in Venezuela kommentiert.  

07. Februar 2019

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