Die Vermögensbilanz des öffentlichen Sektors sagt wenig über die Fähigkeit von Staaten zur Bedienung ihrer Schulden aus.
Seit 2011 steht Christine Lagarde an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF). Unter ihrer souveränen Führung leistete diese nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete, globale Zentralbank entscheidende Beiträge zur Überwindung der Eurokrise. Aus den Reihen der für den Währungsfonds tätigen Ökonomen gehen immer wieder Wirtschafts-Nobelpreisträger hervor, wie zuletzt vor wenigen Wochen der US-Amerikaner Paul Romer und vor ihm schon 2001 Joseph Stiglitz.
Vor kurzem traten nun die die IWF-Experten mit einem neuen Thema an die Öffentlichkeit, von dem sie vielleicht insgeheim hoffen, wieder eine Grundlage für spätere Auszeichnungen zu schaffen. Es geht um den ambitionierten Versuch, Staatshaushalte nicht nur nach der Höhe des Schuldenstandes zu bewerten und danach, ob diese Schulden aller Voraussicht nach auch bedient werden können. Das höchst ehrgeizige Ziel ist, darüber hinaus eine Art Vermögensbilanz des öffentlichen Sektors zu erarbeiten.
Jeder Staat soll demnach ermitteln, wie hoch seine über das laufende Budget hinaus gehenden Verpflichtungen – wie beispielsweise künftige Pensionslasten – sind. Auf der anderen Seite werden Vermögenswerte festgestellt – von Rohstoffen bis zu Anteilen an Unternehmen. Am Ende soll diese Bilanz in ähnlicher Weise, wie das bei Unternehmen funktioniert, gehaltvolle Aussagen über die Kreditwürdigkeit eines Staates ergeben.
Allerdings leidet dieses Vorhaben an augenfälligen konzeptionellen Schwächen. Denn hohe Bestände an Ressourcen im öffentlichen Eigentum müssen nicht bedeuten, dass ein Staat besonders zahlungsfähig ist. So haben etwa erfolgreiche Privatisierungen meist zur Folge, dass es zu höheren Steuereinnahmen kommt, die wiederum die Bedienung der Staatsschulden trotz des gesunkenen Vermögens erleichtern. Hier führt also die Verminderung des Staatsvermögens zu verbesserter budgetärer Leistungsfähigkeit.
Der Widerstand vieler Staaten, sich an der Vermögensfeststellung des Währungsfonds zu beteiligen, ist deshalb zu Recht groß. Erst 31 Länder machen bisher mit, in einer wilden Mischung, die außer den USA von Gambia bis Georgien, Australien bis Kazakhstan und Kenia bis Russland reicht. Länder mit gänzlich unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen also, die man wohl statistisch, nicht aber in der politischen Realität über einen Kamm scheren kann. Auch Österreich und Deutschland waren höflich genug, mitzumachen.
Gut funktionierende Volkswirtschaften mit hohem Wohlstandsniveau und ausgebauten Sozialsystemen benötigen für ihre freie Entfaltung vor allem intakte Rechtssysteme und klug gesetzte Rahmenbedingungen. Die Anhäufung von öffentlichem Vermögen sagt über ihre Leistungsfähigkeit hingegen wenig bis gar nichts aus. Am Ende wird deshalb der Versuch des Währungsfonds, an den Staat mit ähnlichen Denkkategorien heranzugehen wie an Unternehmen, auf hohem Niveau scheitern müssen. Aber wer weiß – vielleicht sieht das das Osloer Nobelpreis-Komitee in einigen Jahren ganz anders?
25. Oktober 2018